Albtraum
Sie zwang sich zur Ruhe, sah jedoch beim Aufstehen an Richards mitfühlender Miene, dass es ihr anscheinend nicht besonders überzeugend gelang. Ihre aufkommende Panik hielt sie in Schach, indem sie sich immer wieder sagte, dass sein Tod nichts mit ihr oder John zu tun hatte. Warum sollte er auch? Heutzutage wurden ständig irgendwo Menschen ermordet. Das war die Tragik unseres modernen Lebens. Hatte John das nicht immer gesagt?
Richard brachte sie zur Tür. „Tut mir Leid, dass ich Ihnen keine weiteren Einzelheiten nennen kann. Vielleicht können Sie im Zeitungsarchiv der Bibliothek die alten Ausgaben der Times Picayune lesen?“
Die Zeitung, natürlich! „Danke, Mr. Ryan. Das werde ich tun.“ Sie lächelte schwach. „Ich freue mich auf Ihren Anruf.“
Irgendwie schaffte Julianna es, von Richards Büro zur Zweigstelle der St. Tammany Parish Bibliothek in Covington zu gelangen. Die Bibliothekarin half ihr, das Gesuchte auf Mikrofilm zu finden, und ließ sie allein.
Julianna überflog den Artikel. Es war am 16. November geschehen. Der Senator war laut Zeitung erschossen in seinem Washingtoner Hotelzimmer aufgefunden worden. Jemand hatte Schüsse aus nächster Nähe auf ihn abgegeben, und der Senator war auf der Stelle tot gewesen. Als der Artikel geschrieben wurde, hatte die Polizei noch keine Verdächtigen, obwohl man verschiedenen Spuren folgte.
Julianna starrte den Monitor an. Ihre Augen schwammenin Tränen, und sie schlang fröstelnd die Arme um sich. Etwas an der Meldung störte sie. Warum war Billy in dieser Nacht im Hotel gewesen? Normalerweise lebte er bei seiner Familie in Virginia. Doch wenn er in der Stadt war, blieb er stets bei ihrer Mutter.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“
Julianna hob den Blick. Die Bibliothekarin war zurückgekehrt und sah sie besorgt an. „Entschuldigung“, flüsterte Julianna, „was haben Sie gesagt?“
„Kann ich etwas für Sie tun?“
„Nein, ich …“ Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken. „Sie sagten, ich könnte mir eine Kopie davon machen?“
„Das ist richtig. Sie kosten einen Vierteldollar pro Seite.“ Julianna nahm zwei Vierteldollarmünzen aus der Tasche und ließ sich die Titelseite mit der Schlagzeile von Billys Ermordung und den Artikel auf der Rückseite kopieren.
Sie dankte der Bibliothekarin und ging, die Kopien an die Brust gepresst. Sie schaffte es nach Hause, konnte sich jedoch nicht erinnern, ins Auto gestiegen, geschweige denn gefahren zu sein. Mit hämmerndem Herzen wählte sie die Nummer ihrer Mutter. Das Telefon begann zu läuten. Während sie wartete, sagte sie sich immer wieder, dass Billys Tod nichts mit ihr, ihrer Mutter oder John zu tun hatte.
Beim dritten Klingeln wurde sie von einem Band informiert, dass dieser Anschluss nicht mehr benutzt wurde. Den Hörer noch in der Hand, sank Julianna auf die Knie. Das kann nicht sein, dachte sie. Sie musste sich verwählt haben. Sie wählte noch einmal und achtete genau auf die Zahlen.
Dasselbe Band ertönte.
Gegen Hysterie ankämpfend, erkundigte sie sich bei der Auskunft nach der Telefonnummer von Sylvia Starr. Man teilteihr mit, dass im Gebiet von Washington keine Sylvia Starr eingetragen sei.
Kein Telefonanschluss für Mutter, und Billy ist tot!
Julianna kippte mit dem Oberkörper vornüber, den Hörer noch am Ohr. O Gott, was sollte sie jetzt tun? Sie musste sich vergewissern, dass mit ihrer Mutter alles in Ordnung war. Sie musste sie finden.
Clark Russell. Natürlich!
Sie wischte sich die Tränen ab, rief noch einmal die Auskunft an und wählte schließlich die Nummer der CIA in Langley, Virginia.
„CIA. An wen darf ich Sie weiterverbinden?“
„Bitte könnte ich …“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich muss mit …“
„Sagen Sie bitte, was Sie wünschen“, bat die Frau am anderen Ende. „Ich kann Sie nicht verstehen.“
Julianna räusperte sich. „Clark Russell bitte.“
„Und wer wünscht ihn zu sprechen?“
„Julianna Starr.“
Ein Augenblick Schweigen am anderen Ende, dann eine Reihe von Klickgeräuschen. Es meldete sich ein Mann. „Hier spricht Todd Bishop. Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich war … ich muss mit Clark Russell sprechen bitte.“ „Tut mir Leid, Mr. Russell ist nicht mehr bei der Agency.
Kann ich Ihnen helfen?“
„Nicht mehr bei …“ Julianna atmete tief durch. „Aber wo … wann ist er …“
„Er ist im Januar in den Ruhestand gegangen, der Glückliche. Kann ich vielleicht …“
Julianna warf leise
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