Albtraum
inzwischen ziemlich viel Zeit mit ihr verbracht und sie immer nur süß, direkt und ehrlich gefunden.
Richard trank einen Schluck Eistee und unterdrückte ein Lächeln. Zweifellos würde Kate es leugnen, aber er war überzeugt, dass bei ihr Eifersucht ihr Urteil über Julianna trübte. Wer konnte es ihr verdenken. Julianna war jung, attraktiv und ungebunden.
Das ergab Sinn. Obwohl Kate Emma sehr liebte und ihre Mutterrolle genoss, war es doch eine große Umstellung. Das nächtliche Füttern, das Schreien des Kindes, der Mangel an persönlicher Freiheit. Sie war bisher nicht wieder zur Arbeit gegangen, und er konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal in ihrem Glasatelier gewesen war.
„Ich denke, ich nehme das gegrillte Hühnchen Cäsar“, sagte Julianna, schloss die Speisekarte und hob den Blick. Sie merkte, dass er sie betrachtete und errötete. „Stimmt etwas nicht?“
Es war schon lange her, dass er eine Frau zum Erröten gebracht hatte, und er lächelte erfreut. „Alles in Ordnung.“
„Warum …“ Ihre Röte vertiefte sich. „Warum starren Sie mich so an, Richard?“Er stützte das Kinn auf eine Faust. „Tue ich das?“
„Das wissen Sie sehr gut.“ Sie seufzte resigniert. „Starren Sie nur, es macht mir nichts.“
Er legte lachend die Speisekarte beiseite. Es war ihnen zur Gewohnheit geworden, so oft wie möglich zusammen zum Lunch zu gehen. Das war eine gute Gelegenheit, den Wahlkampfkalender durchzugehen und über die gemachten Fortschritte zu reden.
„Haben Sie diese Woche schon mit Leo gesprochen?“ fragte sie Richard, nachdem die Bedienung ihre Bestellungen aufgenommen hatte.
Leo Bennett war der politische Berater für Richards Wahlkampf. Da es bis zur Wahl noch anderthalb Jahre waren, fungierte Leo bislang nur als Berater und überließ die täglichen Wahlkampfangelegenheiten Richard und Julianna. Ein halbes Jahr vor der Wahl, wenn vermutlich die Hölle losbrach, würde er sich aktiver ins Geschehen einschalten.
„Er ist nicht in der Stadt. Aber er hat mir eine Liste von gemeinnützigen Gruppen gegeben, denen ich mich als Redner anbieten soll.“ Er nahm die Liste aus der Tasche und reichte sie ihr.
Julianna überflog sie, faltete sie wieder zusammen und legte sie in ihr Notizbuch. „Ich fange gleich heute Nachmittag damit an.“
Die Bedienung brachte die Vorspeisen. Sobald sie wieder allein waren, fragte Richard: „Wie war Ihr Wochenende?“
Sie zuckte die Achseln und trank einen Schluck von ihrem Tee. „Okay.“
„Nur okay?“ neckte er. „Keine heiße Verabredung?“
„Keine. Und wie war’s bei Ihnen?“
„Ein weiteres ruhiges Wochenende zu Hause mit Kate und dem Baby.“
Sie fragte mitfühlend: „Kate will sie immer noch nicht in der Obhut eines Babysitters lassen?“
Vor einer Woche hatte er Julianna anvertraut, wie frustriert er über Kates Weigerung war, Emma allein zu lassen. Er war selbst erstaunt darüber gewesen, dass er die profesionelle Ebene verlassen und etwas so Privates mit ihr besprochen hatte. Doch Julianna war großartig gewesen, verständnisvoll und unterstützend.
Seither hatte er ihr Dutzende anderer Dinge anvertraut, seine Hoffnungen für den Wahlkampf, Sorgen über die Gesundheit der Eltern, Ärger über einen Richter und die unglaubliche Inkompetenz seines Anwaltsgehilfen. Inzwischen freute er sich auf ihre Gespräche. Im Gegensatz zu Kate hatte Julianna immer Zeit für ihn. Sie verstand ihn.
„Sie wird es irgendwann tun, aber es wird ein Kampf werden. Sie möchte keinen Teenager aus der Nachbarschaft als Babysitter nehmen. Die sind ihr zu jung. Sie hat zwei Frauen gefunden, die sie sehr mag, aber die sind immer ausgebucht. Es ist praktisch unmöglich, sie kurzfristig anzurufen und um ihre Dienste zu bitten. Deshalb versucht Kate es gar nicht mehr. Ich verstehe das einfach nicht.“ Er seufzte tief. „Ich verstehe sie nicht mehr.“
„Sie verstehen sie nicht?“ wiederholte Julianna ungläubig. „Das ist bestimmt nicht wahr, Richard. Sie ist Ihre Frau. Sie sind seit Jahren zusammen.“
„Sie hat sich verändert“, sagte er nach einem Moment. „Früher sind wir ausgegangen. Wir haben Gäste eingeladen. Heute hat sie nur noch Zeit für …“ Er verkniff sich die Worte und errötete leicht, weil er wie ein bockiger, selbstsüchtiger Junge klang. „Eltern zu werden ist eine große Umstellung. Es braucht seine Zeit, bis alles wieder seinen geregelten Gang geht.“
„Natürlich ist es eine große Umstellung“, pflichtete
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