Albtraum
taucht es irgendwann wieder auf.“
Kate erwiderte, sie hoffe das auch. Nachdem der Rundgang durch den Hauptwohntrakt beendet war, führte Kate ihren Gast hinab in ihr Atelier. Julianna wanderte umher und berührte dies und das.
Kate ließ sie gewähren und nutzte die Gelegenheit, sie zu beobachten. Richard hatte behauptet, Julianna erinnere ihn an sie. Zunächst hatte sie das nicht nachvollziehen können, doch inzwischen verstand sie, was er meinte. Julianna anzusehen war, wie sich selbst in einem Zerrspiegel zu betrachten. Sie trug denselben Haarschnitt wie sie. Ihr Kleid, obwohl in Stoff und Farbe anders, war im selben Stil gearbeitet wie ihres. Juliannas Lachen und ihre Gestik erinnerten Kate an sich selbst.
Beunruhigt überlegte sie, dass es fast so war, als wäre diese junge Frau nachts in ihr Schlafzimmer gekrochen, um sich ihre Identität auszuborgen. Unwillkürlich fragte sie sich, was Julianna sonst noch von ihr haben wollte. Sie sah auf ihre Uhr.
„Ich wette, die Steaks sind durch. Wir sollten hinausgehen zu Richard und nachsehen.“
Julianna tat, als hätte sie nichts gehört. „Ich wollte auch Künstlerin werden“, vertraute sie ihr an. „Aber …“ Sie ließ den Satz unbeendet und nahm Kates signierten Band von „Dead Drop“ in die Hand. „Das habe ich gerade gelesen. Sie auch?“
„Nein, noch nicht.“
Sie öffnete das Buch und las die Inschrift. Wieder spürte Kate den Drang, ihr etwas zu entreißen.
„Sie und Richard kennen den Autor?“
„Ja, er ist ein alter Freund von uns.“ Kate ging zu ihr und streckte die Hand nach dem Buch aus. Julianna gab es ihr, und sie legte es aufs Regal zurück. „Jetzt müssen wir aber wirklich nach oben gehen. Ich bin sicher, Richard erwartet uns.“
Stunden später, nachdem Julianna gegangen und Emma längst am Schlafen war, stand Kate in ihrem Badezimmer vor dem großen Spiegel und dachte über Julianna Starr nach. Richard lag schon im Bett und überflog seine Notizen für den Prozess am nächsten Tag. Sie sah kurz zu ihm hin. „Ich mag sie nicht, Richard.“
Er blickte auf. „Wen magst du nicht?“
„Julianna.“
Er schien völlig verblüfft. „Warum denn nicht, um Himmels willen?“
„Sie hat etwas an sich …“ Kate betrachtete wieder ihr Spiegelbild und erinnerte sich an ihren Eindruck, Julianna habe ihre Identität gestohlen. „Etwas Heimlichtuerisches. Ich glaube kaum, dass sie dir alles über sich erzählt hat.“
Er lachte leise. „Natürlich hat sie das nicht. Schließlich bin ich nur ihr Boss.“
Kate runzelte die Stirn. „So sieht sie dich aber nicht an.“ „Um Himmels willen, Kate. Sie ist …“
„Du merkst das nicht.“ Sie drückte Zahnpasta auf ihre Zahnbürste, mit der sie dann in seine Richtung wedelte. „Sie sieht dich an, als würde sie dich am liebsten auffressen.“
Er brach in Gelächter aus. „Das ist vielleicht eine Idee!“
Kate warf ihm einen wütenden Blick zu. „Es ist mir ernst. Hast du gesehen, wie sie Emma betrachtet? Als gehörte sieihr und nicht uns.“ Sie begann sich die Zähne zu putzen und hielt noch einmal inne. „Als ich sie durchs Haus geführt habe, wurde sie ganz sentimental.“ Auf seine amüsierte Miene hin fuhr sie fort: „Sie hat sich benommen, als wäre sie schon mal hier gewesen, als würde sie das Haus kennen.“
„Wahrscheinlich hat sie so etwas in ihren Träumen schon mal gesehen.“ Da Kate ihn nur vernichtend ansah, zuckte er die Achseln. „Welcher junge Erwachsene am Beginn seiner Karriere würde nicht sehnsüchtig auf das schauen, was wir besitzen? Oder davon träumen, eines Tages mal so etwas zu haben? Ein schönes Heim mit schönen Dingen, eine ideale Ehe und beruflichen Erfolg.“ Er lächelte, um seinen Worten die Spitze zu nehmen. „Anstatt argwöhnisch zu sein, solltest du dich vielleicht geschmeichelt fühlen.“
Geschmeichelt? Ich fühle mich bedroht! „So war das nicht“, widersprach sie frustriert. „Du verstehst das nicht.“
„Nein, tue ich nicht.“ Er klopfte neben sich aufs Bett. „Komm her. Du bist er schöpft und überarbeitet. Morgen wirst du dir wegen deines Argwohns bestimmt ziemlich albern vorkommen.“
Doch am nächsten Morgen kam Kate sich keineswegs albern vor. Sie war beunruhigt, hatte schlecht geschlafen und wurde von dem Albtraum gequält, eine Unbekannte verfolge und bedrohe sie, um ihr alles zu nehmen, was sie liebte.
Als sie in der Küche saß, ihren Kaffee trank und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen,
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