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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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dunkelblauer Seide, und er stand ihm hervorragend, aber irgendetwas … irgendetwas stimmte nicht so ganz mit seiner Aufmachung. Und das lag nicht nur daran, dass ein Kimono nicht unbedingt das bevorzugte Kleidungsstück eines durchschnittlichen Amerikaners von heute ist. Die Seide spannte sich über Sings breite Brust, und der lose herabfallende Stoff wurde um die Taille von einer Schärpe zusammengehalten, die unterhalb seines kräftigen Bauches festgezurrt war.
    »Ähm, freut mich, dich kennenzulernen, Sing … Sing«, begrüßte ich ihn.
    »Nenn mich einfach Sing«, erwiderte der Hüne.
    »Frag ihn nach seinem Talent«, flüsterte Grandpa Smedry hörbar.
    »Oh, ja«, stammelte ich. »Ja, was ist dein Talent, Sing?«
    »Ich kann stolpern und hinfallen«, erklärte Sing.
    Ich blinzelte verwirrt. »Das ist ein Talent?«
    »Ich weiß, es ist nicht so großartig wie manche anderen«, räumte Sing ein, »aber es hat mir schon gute Dienste geleistet.«
    »Und was hat der Kimono zu bedeuten?«, wollte ich wissen.
    »Ich stamme aus einem anderen Königreich als dein Großvater. Ich bin aus Mokia, dein Großvater und Quentin hingegen kommen aus Melerand.«
    »Okay … aber welchen Unterschied macht das?«
    »Es bedeutet, dass ich eine andere Tarnung brauche als ihr«, erklärte Sing. »So werde ich weniger auffallen. Wenn ich aussehe wie ein Ausländer, werden die Leute mich einfach ignorieren.«
    Ich versuchte, das zu verstehen. »Wenn du meinst«, sagte ich schließlich.
    »Es ist absolut logisch«, bekräftigte Grandpa Smedry. »Glaub mir, wir haben ausführliche Untersuchungen darüber angestellt.« Dann drehte er sich um und deutete auf den anderen Mann. »Und das hier ist dein Cousin Quentin Smedry.« Der kleine drahtige Quentin trug genau wie Grandpa Smedry einen tadellosen Smoking, sogar mit einer roten Nelke im Knopfloch. Er hatte dunkelbraunes Haar, sehr helle Haut und jede Menge Sommersprossen. Ebenso wie Sing schien er um die dreißig zu sein.
    »Sei mir gegrüßt, junger Okulator«, erklärte Quentin und musterte mich durch seine dunkle Sonnenbrille.
    »Und welches Talent hast du?«, fragte ich artig.
    »Ich kann Sachen sagen, die absolut keinen Sinn ergeben.«
    »Und ich dachte, dieses Talent hätte jeder hier«, merkte ich an.
    Niemand lachte. Die Freien Untertanen verstehen meine Witze irgendwie nicht.
    »Er ist außerdem ein sehr guter Einschleicher«, ergänzte Grandpa Smedry.
    Quentin nickte.
    »Großartig«, freute ich mich. »Und ihr beide seid also … Okulatoren?«
    »O Gott, nein«, wehrte Sing ab. »Wir gehören zwar zur Familie Smedry, aber wir entstammen nicht der direkten Linie.«
    »Hast du nicht ihre Brillen bemerkt?«, fragte Grandpa Smedry ungeduldig. »Sie tragen Kriegerlinsen, eine der wenigen Linsenarten, die Nicht-Okulatoren benutzen können.«
    »O ja, klar«, murmelte ich. »Natürlich sind mir die Brillen aufgefallen. Die … Smokings übrigens auch. Habt ihr einen bestimmten Grund, warum ihr euch so anzieht? Ich meine, wenn wir so da rausgehen, werden wir ziemlich auffallen, oder nicht?«
    »Da könnte der junge Lord recht haben«, gab Sing zu und rieb sich nachdenklich das Kinn.
    Lord?, dachte ich. Ich hatte keine Ahnung, was das nun wieder zu bedeuten hatte.
    »Sollen wir für Alcatraz auch noch Tarnkleidung besorgen, Lord Smedry?«, fragte Quentin meinen Großvater.
    »Nein, in seinem Alter sollte er noch keinen Anzug tragen. Vielleicht …«
    »Ich komme schon klar«, unterbrach ich ihn hastig.
    Die versammelten Smedrys nickten.
    Einige der Mundtoten unter meinen Lesern finden die Tarnbemühungen der Smedrys wahrscheinlich ziemlich lächerlich. Bevor ihr sie verurteilt, solltet ihr aber bedenken, dass sie sich auf unbekanntem Terrain bewegten. Stellt euch einfach vor, ihr würdet unvermittelt in einer vollkommen fremden Kultur ausgesetzt, ohne ihre Gebräuche oder ihren Kleidungsstil zu kennen. Könntet ihr den Unterschied zwischen einer Rounsfeldischen und einer Larkianischen Tunika erkennen? Oder wüsstet ihr, zu welchem Anlass man ein Batoled trägt und wann einen Karfu? Hättet ihr auch nur die leiseste Ahnung, wo man die Karflogianische Weidenbinde anlegt? Nein? Nun, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mir diese ganzen Sachen nur ausgedacht habe. Aber das konntet ihr schließlich nicht wissen, oder?
    Damit wäre bewiesen, dass ich recht habe. Und alles in allem machten die Smedrys ihre Sache gar nicht so schlecht. Ich habe andere Infiltrationsmannschaften gesehen –

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