Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Pflieger
Vom Netzwerk:
abgibst.«
    Noch immer in die Betrachtung des unverhofft in seine Hände gelangten Schatzes vertieft, nickte Icherios abwesend. Der Beutel, den der Chronist ihm zuwarf, prallte an seiner Schulter ab und fiel klimpernd zu Boden. Erschrocken hob Icherios ihn auf.
    »Mit dem Geld kannst du deine Ausgaben bestreiten. Bei deiner Rückkehr gibst du den Rest zurück und erhältst einen angemessenen Lohn.«
    Icherios öffnete den Beutel und warf einen vorsichtigen Blick hinein. Goldgulden und silberne Kreuzer funkelten ihm entgegen. Es war genug, um ein kleines Dorf zu kaufen.
    Dann drückte ihm Freyberg zwei Briefe in die Hand. »Der eine ist von Raban, der andere trägt das kaiserliche Siegel und weist dich als Inspektor im Dienste Joseph II. aus. Zudem gewährt er dir freies Geleit durch seine Länder.«
    Icherios verschlug es den Atem. Unzählige Geschichten rankten sich um diese Geleitbriefe. Von den Meisten wurden sie als reiner Mythos abgetan. Er konnte gar nicht glauben, dass es nicht so war. Mit diesem Schriftstück stand ihm das gesamte Heilige Römische Reich offen.
    »Jetzo, Jungchen. Schließ den Mund, sonst fliegt eine Mücke hinein. Deine Kutsche fährt zur dreizehnten Stunde am Marktplatz ab.«
    »In drei Stunden?«, rief Icherios. »Ich brauche mehrere Tage, um meine Angelegenheiten zu regeln.«
    »Ein Mörder wartet nicht auf den Ermittler.«
    »Natürlich nicht.« Icherios funkelte den alten Mann an. »Aber heute Morgen konnte ich noch nicht ahnen, dass mich ein Auftrag erwartet. Ich kann nicht einfach kurzerhand verschwinden.«
    Ein unmenschlicher Schrei, der das ganze Gebäude erzittern ließ, unterbrach ihre Diskussion. Freyberg erbleichte, packte Icherios am Arm und zog ihn wie eine Stoffpuppe auf den Gang hinaus. »Jetzo, Jungchen. Solange du für uns arbeitest, solltest du dich an kurzfristige Planänderungen gewöhnen.« Er riss die Tür auf und stieß ihn auf die Straße. »Viel Erfolg, du wirst das schon schaffen.«
    Bevor die Tür vollends ins Schloss gefallen war, konnte Icherios einen letzten Blick auf Freybergs Gesicht werfen. Er hoffte, dass die Zweifel darin dem Geschrei galten und nicht ihm. »Ich wurde nie gefragt, ob ich für euch arbeiten möchte«, grollte Icherios. Die Tür, sein einziger Zuhörer, ersparte ihm eine Antwort.

2
    Aufbruch
    G
    I cherios hastete, das Buch mit den Briefen unter den Arm geklemmt, nach Hause. Die fahle Sonne kämpfte sich nur schwer durch die Wolkendecke hindurch. Wo ein Sonnenstrahl auf den Boden traf, stieg die Feuchtigkeit in Nebelschwaden auf. Er fand sich in der Stadt mit geschlossenen Augen zurecht. Seit seiner Jugend hatte er ihre Gassen durchstreift. Früher hatten unzählige Händler und Schausteller die Straßen bevölkert, doch der Mangel an Nahrungsmitteln raffte die Gaukler nun als Erste hinweg, und den Straßenständen blieb nichts mehr, was sie verkaufen konnten. Vor wenigen Jahren noch galt Karlsruhe als Schmuckstück, geplant und erbaut von Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach. Wie der Rest des Reiches war sie von der Armut nicht verschont geblieben, und die einst so prachtvolle Stadt litt nun zusammen mit ihrer Bevölkerung unter der allgemeinen Not und Hoffnungslosigkeit. Icherios bemühte sich, nicht zu genau in die Ecken und Winkel zu blicken. Überall lagen regungslose Menschen. Viele von ihnen waren geschwächt vom Hunger, vor den Augen der teilnahmslosen Passanten zusammengebrochen. Die meisten würden sich nicht wieder erheben und am Abend mit den Leichenkarren aus der Stadt gebracht werden.
    Ein Windstoß erfasste Icherios’ Hut und stieß ihn von seinem Kopf. Er versuchte ihn zu fassen. Dabei stolperte er über seine eigenen Füße und fiel beinahe hin. Mit einem satten Platschen landete sein geliebter, abgewetzter Hut in einer Pfütze. Icherios schüttelte ihn angewidert und hoffte, dass der Anteil an Wasser in der Pfütze höher war als der an Urin. Der Geruch, der vom Hut ausging, besagte allerdings eher, dass diese Hoffnung ebenso realistisch war wie der Glaube an fliegende Schweine. Während er seinen Hut säuberte, sah er aus dem Augenwinkel eine ausgezehrte Frau mit einem Baby auf dem Arm, das bereits zu schwach zum Schreien schien. Ihr Alter war durch die eingefallenen Wangen und Augen, in denen keine Hoffnung mehr schimmerte, schwer einzuschätzen. Icherios vermutete, dass sie nicht mehr als fünfundzwanzig Jahre zählte und früher vermutlich eine Schönheit gewesen war. Zaghaft, voller Scham und Furcht, näherte sie

Weitere Kostenlose Bücher