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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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hören kann. Ich wiederhole meine Frage, diesmal hört sie, versteht mich aber nicht. Sie hält mich wohl für verrückt, denn sie steht plötzlich auf und geht eilig davon.
    Ich versuche es bei einer zweiten, einer dritten Person. Ich ändere meine Frage. Jetzt will ich wissen, warum sie diese Reise mit der Transsib machen. Niemand versteht, was ich will, und letztlich ist mir das ganz recht, denn im Grunde genommen ist die Frage irrelevant. Man kann zwar nach dem Ziel der Reise fragen, aber ob es erreicht wird, bleibt offen. Denn schließlich bin auch ich nicht genau dorthin gelangt, wohin ich anfangs wollte. Jemand, der sich auf dem engen Gang an uns vorbeidrängt, hört mich englisch sprechen, bleibt stehen und fragt ruhig:
    »Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie sich verlaufen?«
    »Nein, ich habe mich nicht verlaufen. Aber können Sie mir sagen, wo wir da gerade vorbeifahren?«
    »Wir sind an der Grenze zu China, bald werden wir nach rechts abbiegen und in südlicher Richtung nach Wladiwostok weiterfahren.«
    Ich bedanke mich bei ihm und gehe weiter, froh darüber, dass es mir gelungen ist, mit jemandem ein Gespräch anzufangen. Ich hätte also auch allein reisen können, wäre ohne die anderen nicht völlig verloren gewesen und würde es auch niemals sein - solange es Menschen gab, die bereit waren zu helfen.
    Nachdem ich die sich schier endlos hinziehende Stadt bis zur Lokomotive durchwandert habe, kehre ich um und zum Ausgangspunkt zurück. Ich bringe Bilder von Flüssen mit, Blicke, Küsse, Musik, Worte in vielen unterschiedlichen Sprachen, den Wald, der draußen vorbeizieht und den ich wohl nie wiedersehen, aber dennoch in meinem Herzen und vor meinem geistigen Auge in mir bewahren werde.
    Ich kehre an den Tisch im Salon zurück, schreibe ein paar Zeilen, die ich an die Stelle hefte, die sonst Yaos täglichen Gedanken vorbehalten ist.
     
    ***
     
    Ich lese, was ich gestern nach meiner Wanderung durch den Zug geschrieben habe:
     
    Ich bin kein Fremder, weil ich nicht für eine sichere Rückkehr gebetet habe. Ich habe meine Zeit nicht damit vertan, mir mein Haus, meinen Fisch, meine Seite des Bettes vorzustellen. Ich bin kein Fremder, weil wir alle immer auf Reisen sind, alle gleich müde, mit den gleichen Fragen, den gleichen Ängsten, der gleichen Selbstsucht und der gleichen Großzügigkeit. Ich bin kein Fremder, denn als ich etwas brauchte, bekam ich es. Als ich klopfte, wurde mir aufgetan. Als ich suchte, fand ich.
     
    Ich erinnere mich daran, dass dies die Worte des Schamanen gewesen sind. Bald würde der Waggon an seinen Ausgangspunkt zurückkehren. Dieses Stück Papier würde verschwinden, sobald die Putzfrau kam, um den Waggon sauberzumachen. Aber ich würde niemals vergessen, was ich geschrieben habe; weil ich kein Fremder bin und niemals einer sein werde.
    Hilal ist die meiste Zeit in ihrem Abteil geblieben und hat wie besessen Geige gespielt. Manchmal hört es sich an, als spräche sie noch einmal mit den Engeln, dann wieder übt sie ein ums andere mal dieselben Takte.
    Auf der Fahrt im Wagen zurück nach Irkutsk war ich mir sicher gewesen, dass ich auf meinem Flug mit dem Adler vom Baikalsee nicht allein gewesen war. Unser beider Geist hatte gemeinsam dieselben Wunder geschaut.
    Letzte Nacht habe ich Hilal erneut gebeten, in meinem Bett zu schlafen. Ich hatte versucht, mit dem Ring aus Licht allein irgendwohin zu gelangen, doch ohne Erfolg - außer einem versehentlichen Besuch bei dem Schriftsteller, der ich im 19. Jahrhundert in Frankreich gewesen war. Er (oder ich) hatte gerade folgenden Absatz beendet:
     
    Der Moment kurz vor dem Einschlafen ist ähnlich wie der Tod. Uns überkommt eine Mattigkeit, und es ist unmöglich zu entscheiden, wann unser >Ich< anfängt, in einer anderen Form zu existieren. Unsere Träume sind unser zweites Leben, und ich kann die Tore, die in die unsichtbare Welt führen, nicht ohne Schaudern durchschreiten.
     
    In dieser vergangenen Nacht hat Hilal sich neben mich gelegt, mein Kopf ruhte auf ihrer Brust - als kennten unsere Seelen sich schon seit langer Zeit und als seien Worte nicht mehr nötig, nur diese Berührung. Und tatsächlich hat mich der Ring aus Licht genau dorthin gebracht, wohin ich wollte: in einen kleinen Ort in der Nähe von Cordoba.

Das Urteil wird mitten auf dem Dorfplatz wie bei einem großen Volksfest öffentlich verkündet. Die acht jungen Frauen tragen knöchellange weiße Gewänder und zittern vor Kälte. Doch bald schon werden sie die Hitze

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