Alera 02 - Zeit der Rache
jedoch entschlossen als Erste in das helle Licht von einem halben Dutzend Fackeln. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte ich dreißig bis vierzig Männer auf Pferden mit Pfeil und Bogen, die genau auf mich zielten. Ich war nicht das von ihnen erwartete Ziel, aber ihr Anblick ließ mich dennoch erschauern, denn ich wusste, dass die tödlichen Spitzen ihrer Pfeile dazu gedacht waren, Narian zu zerfleischen, sobald er sich zeigte.
»Bitte«, stieß ich hervor und konzentrierte mich auf Cannan, der in vorderster Linie stand. Der Hauptmann hielt keinen Bogen in der Hand, bot aber auf seinem großen, kräftigen Ross dennoch ein eindrucksvolles Bild. Mit strenger Miene und erhobener Hand hielt er seine Männer davon ab, zu schießen.
»Geht zur Seite«, schrie er, als er mich sah, denn ich hatte mich in eine sehr gefährliche Lage gebracht. Seine Männer gehorchten.
»Bitte«, wiederholte ich. »Lasst ihn gehen.«
»Alera, hier herüber«, befahl Cannan, als Destari und Narian auftauchten. Mein Leibwächter stand rechts von mir und hielt Narian fest am linken Arm gepackt. Ich schüttelte stur den Kopf. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Verhalten erreichen würde, aber ich hegte die schwache Hoffnung, dass Cannan zögern würde, die Königin derart zu übergehen, oder dass die Verwirrung, die ich stiftete, Narian Gelegenheit zur Flucht gäbe.
»Er ist unbewaffnet«, rief Destari.
Cannan nickte. »Alera, Ihr müsst beiseitetreten.«
Als ich mich nicht rührte, gab er Halias einen Wink, der mir genau gegenüber auf seinem Pferd saß. Halias sprang herunter und schien mich holen zu wollen, aber ich duckte mich hinter Destari und stellte mich neben Narian, dessen rechten Arm ich fest umklammerte.
»Es gibt Fakten, die Ihr noch nicht kennt«, rief ich Cannan mit vor Aufregung schriller Stimme zu. Verzweifelt sandte ich Destari einen Hilfe suchenden Blick, doch der schüttelte nur mitleidig den Kopf.
»Halt, Alera.«
Es war Narians ruhige Stimme, die meinen Starrsinn schließlich durchdrang. Ich schwieg, weil ich hören wollte, was er zu sagen hätte. Gelassen sah er mich an und begann meine Hand von seinem Arm zu lösen. Als er ihn zurückzog, spürte ich, wie der an meinem linken Unterarm befestigte Dolch aus seiner Scheide glitt, und in einer einzigen fließenden Bewegung in seinem Hosenbund verschwand.
»Cannan hat recht«, fuhr er sachlich fort, aber mit leiser Stimme, die offenbar nur für meine Ohren bestimmt war. »Du musst mit Halias gehen.«
Ich starrte ihn ungläubig an und sah, dass Destari, der als Einziger nah genug stand, um mitzuhören, ihm einen dankbaren Blick zuwarf.
»Ich werde nichts davon vergessen, was zwischen uns gewesen ist, Alera, aber du musst es vergessen. Verteidige mich nicht, versuch nicht, mir zu helfen. Ich bin nicht mehr, wer ich war. Ich bin jetzt dein Feind.«
Der Schrecken stand mir zweifellos ins Gesicht geschrieben, dann umfing mich Schwärze. Meine Augen sahen nichts, meine Ohren hörten nichts. Ich konnte nicht einmal atmen. Ich fühlte mich schrecklich allein und gescheitert. Als Halias zu mir trat und einen Arm um meine Taille legte, wehrte ich mich nicht. Er führte mich in Cannans Richtung, dessen Gestalt vor meinen Augen verschwamm. Allerdings sah ich noch, wie er den Arm hob, um seine Männer aufzufordern, die Bogen wieder anzulegen. Mein Schwächeanfall ebbte ab, ich erkannte das Haus wieder deutlich und sah auch, wie Destari versuchte, Narian an der Schulter vorwärtszuschieben, doch der rührte sich nicht. Ich spürte, wie die Männer links und rechts von mir begierig auf den Befehl warteten, endlich ihre Pfeile abzuschießen.
Doch der Hauptmann gab ihnen kein Signal dazu, sondern stellte dem trotzig vor ihm stehenden Siebzehnjährigen stattdessen eine einfach Frage.
»Wirst du dich freiwillig in meinen Gewahrsam begeben, Junge?«
»Werdet Ihr mich zum Wohle Eurer Truppen ziehen lassen?«
Cannan musterte Narian kritisch, dann gab er ihm die Antwort, mit der alle gerechnet hatten.
»Man wird dich nicht ziehen lassen.«
»Das bedaure ich.«
»Tritt aus freien Stücken vor –«
»Und ich bedaure auch das hier.«
Aus dem nichts heraus schoss eine Flamme empor und bildete rasch eine Feuerwand, die uns von Destari und Narian trennte. Pferde wieherten und scheuten, manche gingen durch und nahmen ihre Reiter mit, andere warfen sie ab. Halias zog mich vom Feuer weg, gerade als Cannans Ross vor Schreck stieg, letztlich aber doch seinem Herrn
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