Alera 02 - Zeit der Rache
wir vorüberritten, freundlich zu.
Endlich führte aber auch unsere Gasse auf die noch ziemlich stark bevölkerte Hauptstraße. Wir hielten uns am Rand und bewegten uns in flottem Trab, bis wir das Stadttor erreichten. Die Gitter waren bereits herabgelassen, und nur wer einen Passierschein mit dem Siegel des Königs vorweisen konnte, durfte zu so später Stunde die Stadt noch verlassen oder betreten.
»Uns schickt der Hauptmann der Garde«, sagte Destari schroff zu den Posten, die auf beiden Seiten des Gitters standen. Zu meiner großen Erleichterung signalisierten sie ihren Kameraden auf den Türmen, die spitz endenden Gitter sogleich hinaufzuziehen, und wagten es nicht, dem Hauptmannstellvertreter oder seinem Begleiter eine Frage zu stellen. In diesem Moment war ich dankbar dafür, dass Destari sich geweigert hatte, mich allein reiten zu lassen. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob die Garde ihrer Königin ebenso bereitwillig gehorcht hätte, denn ich wusste nicht genau, wessen Befehl sie unterstand. Höchstwahrscheinlich hätte man in jedem Fall Cannan von meiner Aktion berichtet.
Im weichen grauen Licht des frühen Abends ritten wir übers Land, und je schneller wir wurden, desto deutlicher war die aufkommende Kälte zu spüren. Ich zog meinen Umhang enger um mich und schmiegte mich an den wärmenden Stoff meiner Kapuze. Der gleichmäßige Hufschlag von Destaris Pferd musste mir als Orientierung genügen. Als wir auf Koranis’ Gut eintrafen, war es fast schon zu dunkel, um unsere Umgebung überhaupt noch zu erkennen. Furcht erfasste mich, weil ich kein anderes Pferd auf dem Gelände entdecken konnte. Waren wir vor Narian eingetroffen? Oder wartete er am Saum des Waldes, um zu sehen, ob ich mein Versprechen gehalten hatte und allein gekommen war? Wenn das der Fall war, befände er sich dann jetzt bereits enttäuscht von mir auf dem Rückweg ins cokyrische Feldlager? Der letzte Gedanke genügte, sodass ich am liebsten laut nach ihm gerufen hätte, aber ich unterdrückte das Verlangen und saß ab, um mit Destari auf das Haus zuzugehen.
Die Vordertür war unverschlossen, und ich musste daran denken, wie London mich vor ein paar Monaten hier gefunden hatte. Koranis wäre sicher indigniert gewesen, wenn er um die Verletzlichkeit seines repräsentativen Anwesens gewusst hätte. Destari brachte mich allerdings rasch wieder in die bedrohliche Gegenwart zurück, als er mit gezücktem Schwert vor mir über die Schwelle trat. Da niemand zu sehen war, ließ die Anspannung seines Körpers ein wenig nach.
»Ich habe damit gerechnet, dass dich jemand begleitet.«
Destari machte einen kleinen Satz, als Narians Stimme durch den dunklen Raum schnitt, dann streckte er rasch einen Arm aus, um mich am Weitergehen zu hindern.
Narians Gestalt war fast nicht zu erkennen, bis er die Laterne in seiner Hand entzündete. Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte eine Kapuze über sein blondes Haar gezogen. Ohne ein weiteres Wort bedeutete er uns, durch einen Rundbogen zu treten, der ins Speisezimmer des Hauses führte. Ich wollte schon vorausgehen, doch mein Leibgardist hielt mich erneut zurück, denn er wollte offenbar vermeiden, dem Feind den Rücken zu kehren.
Narian zuckte kurz mit den Schultern und ging voran, wohl um uns seine guten Absichten zu beweisen. Dann stellte er die Laterne auf die polierte Tischplatte und setzte sich. Destari und ich nahmen gegenüber von ihm Platz.
»Sicher habt ihr Fragen an mich«, sagte er unumwunden und schob seine Kapuze zurück.
»Wie geht es Miranna?«, stieß ich sofort hervor.
»Es geht ihr gut«, antwortete er und senkte den Blick ein wenig.
Ich verlor die letzten Spuren von Angst, die mich noch umgetrieben hatte, nachdem er mir beim letzten Mal nur versichert hatte, meine Schwester sei am Leben. Es fühlte sich an, als könne ich endlich wieder frei atmen, nachdem ich quasi die Luft angehalten hatte, seit sie verschwunden war. Doch dann sah ich den Schmerz in Narians Blick und wusste, dass es noch mehr zu wissen gab.
»Was ist? Worin besteht das Problem, wo ist sie?«
»Du brauchst dich nicht um ihre Sicherheit sorgen. Sie ist im Tempel der Hohepriesterin untergebracht und wird in etwa so behandelt wie ich zu meiner Zeit als Gefangener hier in Hytanica.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn«, erwiderte ich und runzelte die Stirn, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, was ich über die Taktik unseres Feindes wusste. »Warum behandelt man sie so gut? Welchem Zweck dient
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