Alera 02 - Zeit der Rache
ihnen. Ich sah den Offizier auf den Knien, weit über Steldor gebeugt, wie er seinen Freund am Hinterkopf packte und nicht besonders sanft schüttelte. Ich stolperte hinüber, als ich begriff, dass Steldor erneut, fast ohne Vorwarnung, das Bewusstsein verloren hatte. Als Reaktion auf Galens Bemühungen wachte der König noch einmal auf, aber er murmelte etwas, dem man keinen Sinn entnehmen konnte.
»Steldor!«, schrie Galen da, und ich stand hilflos daneben, während mein Gemahl versuchte, sich zu konzentrieren, doch er stieß nur den Freund beiseite, dessen Nähe er nicht aushielt, weil die Entzündung das Fieber wieder in die Höhe trieb.
Galens Schrei hatte den Hauptmann alarmiert, der in dem Moment auf den Beinen war, als der junge Offizier zum Zeichen seiner qualvollen Niederlage das Kinn auf die Brust fallen ließ. Als Cannan näher kam, sprang Galen plötzlich auf, wandte sich um und schlug seine offene Hand mit einem unterdrückten Schrei gegen den Fels. In dieser Geste steckten so viele Gefühle – Wut, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Angst, Trauer.
Cannan war da, um ihn aufzufangen, als Galen zu Boden glitt. Er ging ebenfalls auf die Knie, um den weinenden jungen Mann in einer festen Umarmung an seine Brust zu drücken. Mir schnürte sich der Hals zu, und ich spürte heiße Tränen über meine eigenen Wangen laufen, doch seltsamerweise gab Cannan nichts von seinen Gefühlen preis, ergab sich nicht in den Schmerz, der ihn zweifellos fast in Stücke riss. Stoisch wie immer hielt er nur Galen. Selbst als das Weinen des jungen Mannes längst verebbt war, blieb er an Ort und Stelle, sagte kein Wort, sondern tröstete den Ziehsohn nur stumm in seinen starken Armen. Weil ich mich wie ein Eindringling fühlte, ging ich, um einen Kessel mit Wasser zu füllen, und versuchte auf diese Weise, Galen und Cannan so viel Abgeschiedenheit zu geben, wie das unter unseren beengten Verhältnissen eben möglich war.
Ich kehrte an die Feuerstelle zurück, und Miranna kam, um mir beim Kochen zu helfen. Ohne genau zu wissen, was ich tat, begann ich eine Art Eintopf aus dem Wild zuzubereiten, denn der würde zumindest besser schmecken als Grütze. Während ich die Zutaten in den Topf gab, drangen gedämpfte Stimmen an mein Ohr. Galen hatte sich aufgerichtet, sein Gesicht war immer noch tränennass, und die beiden Männer sprachen an Steldors Seite miteinander. Ich versuchte, nicht zu lauschen. Als ich fertig war, hatten die zwei sich erhoben, und Cannan legte Galen für einen Moment die Hand auf den Rücken, bevor der Offizier hinausging, um London auf seinem Posten abzulösen und Trost in der Einsamkeit zu suchen.
Der Tag schleppte sich dahin, und Steldors Fieber wütete. Ich hütete das Feuer und hielt Essen bereit, da die Männer ihren Wachen entsprechend zu verschiedenen Zeiten aßen. Temerson kümmerte sich weiterhin um Miranna, und die zwei schienen sich selbst völlig zu genügen.
London und Cannan übergossen Steldor erneut mit Eiswasser, tränkten sein Haar damit und jeden Zentimeter seiner nackten Haut, aber das Fieber wollte nicht zurückgehen. Ich war mir sicher, London hätte ihn hinaus in die Kälte gebracht, wenn man ihn hätte bewegen können, aber das Risiko war zu groß, dabei seine Wunde weiter aufreißen zu lassen – falls das, wie ich bitter bei mir dachte, überhaupt noch eine Rolle spielte.
London und Cannan versuchten häufig, den delirierenden Steldor zum Trinken zu bringen, doch sie hatten selten Erfolg. Dennoch war der Versuch unerlässlich, weil seine hohe Temperatur ihm so viel Flüssigkeit entzog. Da er schrecklich schwitzte, war jeder Tropfen, den sie ihm einflößen konnten, wichtig. Die Nacht kam wie eine schwere Last, und ich hieß den Schlaf, der mich zu übermannen drohte, nicht willkommen.
»Es kommt jemand!«
Galen war ganz außer Atem, als er in die Höhle stürzte und mich mit seinen Worten aufschreckte. Draußen herrschte noch Dunkelheit, und als ich mich umsah, entdeckte ich, dass sich Temerson ebenfalls kerzengerade aufgerichtet hatte. London war aufgesprungen und gürtete sich bereits seine Waffen um. Auch Cannan hatte Steldors Seite verlassen und trat auf den Haushofmeister zu. Miranna rührte sich, aber Temerson legte ihr eine Hand auf die Schulter, und so schien sie in ihre Träume zurückzugleiten.
»Cokyrier?«, fragte Cannan, während auch ich mich erhob.
»Das konnte ich nicht erkennen«, erwiderte Galen. »Es ist noch zu dunkel. Ich vermochte ja kaum die sich bewegende
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