Alera 02 - Zeit der Rache
regelmäßig fühlte, nur ein klein wenig zu fallen schien, lag er nun etwas ruhiger da. Ich wusste, dass Cannan und London versucht hatten, genau diese Verschlechterung seines Gesundheitszustandes mit allen Mittel zu verhindern, und dass nun nicht mehr gewiss war, ob er durchkäme.
»Ich will irgendetwas tun«, sagte Cannan zu London und warf mir einen raschen Seitenblick zu. Bewusst starrte ich auf die brennenden Scheite in der Feuerstelle, weil er nicht merken sollte, dass ich zuhörte. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und Miranna und Temerson schliefen in der hinteren rechten Ecke der Höhle nebeneinander. Normalerweise wäre das unschicklich gewesen, doch unter den gegebenen Umständen hatten sie ja lediglich im Sinn, einander Trost und Wärme zu spenden. Galen hatte schon lange wieder draußen Posten bezogen und schien nichts anderes als allein sein zu wollen. Ich fragte mich, wie er damit zurechtkam.
»Am liebsten würde ich diesen Kerl zum Krüppel schlagen«, hob Cannan erneut an und schien mein gesenktes Haupt als Zeichen dafür zu nehmen, dass ich nicht zuhörte.
»Ich fühle genauso«, antwortete London. »Aber im Moment sind wir hilflos. Selbst wenn uns eine Möglichkeit einfiele, um dem Overlord seinen Sieg zu vergällen, haben wir nicht genug Männer dafür. Wir können die Frauen und Temerson nicht ohne ausreichend Schutz allein lassen, und auch Steldor muss versorgt werden.«
Der Hauptmann wirkte ungewöhnlich angespannt, er schien regelrecht zu kochen, weil er zum Nichtstun verurteilt war und sich mit der gegenwärtigen Lage abfinden musste.
»Doch unser Tag wird kommen«, versicherte London ihm mit kaum hörbarer Stimme. »Und dann wird es ihm noch leidtun. Wir werden dafür sorgen, dass es ihm leidtut.«
Cannan erwiderte nichts darauf, sondern befühlte zum tausendsten Mal die Stirn seines Sohnes und ließ eine längere Gesprächspause entstehen. London beobachtete seinen Hauptmann und schien eine Frage auf der Zunge zu haben.
»Werdet Ihr ihm von Baelic erzählen?«, fragte er schließlich.
Cannan antwortete erst nach kurzem Zögern. »Nein. Er muss es nicht wissen. Es zu erfahren würde ihn zerreißen, und in dieser Hinsicht haben die Cokyrier ohnehin schon gute Arbeit geleistet.«
London nickte und schien Cannans Entscheidung zu respektieren. Dann verfielen beide Männer in tiefes, brütendes Schweigen. Nach einiger Zeit merkte ich, dass ich meine Augen kaum noch offen halten konnte, und trotz der schrecklichen Albträume, die ich fürchtete, machte ich mich zu meinem Schlaflager auf. Mir waren nur wenige Stunden Schlaf vergönnt, dann weckte mich Steldors Unruhe und ich trat zu ihm. Cannan und London waren immer noch neben ihm und versuchten, ihn zu kühlen, hatten jedoch nur wenig Erfolg damit. Er lag im Delirium und schlug um sich, um ihre Hände loszuwerden, mit denen sie ihn niederhalten mussten, damit er seine Wunde nicht noch vergrößerte. Mit ihm zu reden, war sinnlos, obwohl Cannan es trotzdem tat. Steldor schien nichts zu hören und schon gar nicht zu verstehen. Die Laute, die zwischen kläglichen Schreien über seine ausgetrockneten Lippen kamen, ergaben keinerlei Sinn. Irgendwann erfasste mich eine morbide Neugier und ich streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, doch ich fuhr schon vorher zurück, weil ich die trockene Hitze, die er ausstrahlte, bereits spüren konnte.
»Wenn es nicht bald nachlässt, wird sein Verstand dauerhaften Schaden nehmen«, sagte London und wirkte über die Maßen besorgt.
»Ich weiß«, knurrte Cannan. »Glaubt Ihr, ich weiß das nicht?«
Ohne ein Wort sprang London auf.
»Wo wollt Ihr hin?«, verlangte der Hauptmann zu wissen, während Steldor ein langes, herzzerreißendes Wimmern ausstieß, das ich ihm niemals zugetraut hätte.
»Schnee«, erwiderte London nur, schnappte sich den fast leeren Eimer, der neben Cannan stand und eilte aus der Höhle.
Ich stand hilflos daneben und überlegte, ob ich vielleicht zu meinem Platz am Feuer zurückkehren sollte, aber eigentlich machte ich mir dafür zu große Sorgen um Steldor. Cannan warf mir einen raschen Blick zu, sagte aber nichts, sondern gab mir nur stumm die Erlaubnis dazubleiben. Also drückte ich mich an die Wand, um nicht im Weg zu stehen.
Nach etwa zehn Minuten kehrte London mit einem Eimer voller Eis zurück, das draußen stellenweise den Boden bedeckte. Cannan nickte anerkennend über Londons Einfallsreichtum, nahm sich sogleich eine Handvoll davon und fuhr damit seinem
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