Alera 02 - Zeit der Rache
erschüttern können.
Im Unterschied zu dem Jungen, der sie liebte, machte Miranna nur geringe Fortschritte. Sie blieb still, schreckhaft und sehr unsicher. Sie hätte einen sicheren Hort zur Heilung gebraucht, doch unsere gegenwärtigen Lebensumstände waren das absolute Gegenteil davon. Ich war dankbar dafür, Temerson bei uns zu haben, denn er war es zufrieden, endlose Stunden bei ihr zu verbringen.
Galen kümmerte sich zwischen seinen Wacheinsätzen darum, die zahlreichen Waffen zu schärfen, die wir mitgebracht hatten und die bereits in der Höhle gelagert gewesen waren. Soweit ich wusste, hatte er seit Beginn des unerwarteten Genesungsprozesses seines Freundes noch keine Zeit mit Steldor allein verbracht. Doch da Cannan und die Hohepriesterin ununterbrochen an seiner Seite waren, gab es dazu auch keine Gelegenheit. Dennoch war unverkennbar, dass Steldors zusehends bessere Verfassung Galens Zuversicht ungemein stärkte. In Anbetracht unserer schwierigen Lebensumstände lief eigentlich alles recht gut.
Als London zurückkam, wurde es bereits dunkel, und ich war gerade dabei, einen Eintopf als unser Abendessen zu kochen, wobei Miranna mir Gesellschaft leistete. Temerson hielt draußen Wache, und Galen behielt die Hohepriesterin im Auge, sodass Cannan und Halias ungestört miteinander sprechen konnten, denn wir hatten bereits begonnen, uns Sorgen zu machen. Als London unversehrt in der Höhle auftauchte, waren alle spürbar erleichtert, doch seine finstere Miene gab uns sogleich zu denken. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, während er in der Mitte des Unterschlupfes stehen blieb und sich abwesend mit der Hand durch seine widerspenstige silberne Mähne fuhr.
»Die Verhandlungsbasis hat sich geändert«, sagte er kurz angebunden.
Ich sprang auf, denn seine kryptische, ernste Art verschlug allen zunächst einmal die Sprache.
»Was ist denn passiert, London?«, fragte ich zaghaft und räusperte mich, als ich merkte, wie heiser meine Stimme klang. »Was ist passiert?«
»Etwas, das wir nicht erwartet haben.« Er ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten und schloss die Augen. Dann holte er tief Luft. »Ich hätte wissen müssen, dass der Overlord sich nicht so leicht auf unsere Bedingungen einlassen würde.«
Selbst die Hohepriesterin runzelte beunruhigt die Stirn, Cannan und Halias kamen näher, und Galen stand ebenfalls auf.
»Was ist passiert?«, wiederholte Cannan meine Frage in alarmiertem Ton, denn er ahnte wohl schon, dass es keine guten Neuigkeiten sein konnten.
»König Adrik und Lady Elissia – sie sind noch am Leben. Der Overlord bietet ihr Leben gegen das der Hohepriesterin.«
Das Blut wich mir aus den Wangen, und ich machte ein paar stolpernde Schritte auf London zu. Dabei stieß ich einen kleinen Schreckensschrei aus, der gar nicht klang, als käme er aus meinem Mund.
»Er will sie töten?«, keuchte ich, und London nickte.
»Aber das dürfen wir nicht zulassen!«
Ich sah nacheinander in die Gesichter der Männer, die ernst um mich herumstanden, doch ihre Mienen beruhigten mich nicht im Geringsten.
»Wir müssen sie retten!«, sagte ich lauter und mit schrillerer Stimme.
»Inzwischen wird er sie in den Palast zurückgeschafft haben«, sagte Halias in traurigem Ton zu mir. »Höchstwahrscheinlich befinden sie sich im Kerker. Dann gibt es keine Möglichkeit, sie zu befreien.«
»Der einzige Weg, um ihre Freilassung zu sichern, ist die Herausgabe der Hohepriesterin, und selbst das ist noch keine Garantie«, meldete London sich wieder zu Wort. »Der Overlord ist herzlos, und nun, da wir ihn gereizt haben, wird er noch weniger an einem fairen Handel interessiert sein.«
»Abgesehen von unserem Wunsch, das ehemalige Königspaar zu retten, dürfen wir die Hohepriesterin nicht allein gegen sie austauschen. Wir brauchen ein besseres Angebot«, bekundete Cannan entschieden, und selbst ich wusste, dass er vom militärstrategischen Standpunkt aus betrachtet recht hatte.
»Ihr könnt sie doch nicht einfach sterben lassen!«
Genau diese Worte hatte ich auf der Zunge gehabt, doch sie kamen nicht aus meinem Munde. Ich drehte mich um und sah, dass meine Schwester aufgesprungen war und uns mit vor Schreck geweiteten Augen anstarrte. Sie klang schon fast hysterisch, aber ich ließ sie in der Hoffnung gewähren, ihr Ausbruch würde auch die anderen aufrütteln.
Cannan und seine beiden Stellvertreter musterten sie mitleidig, erwiderten jedoch nichts. Stattdessen wandte Halias sich an mich.
»Uns
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