Alera 02 - Zeit der Rache
der Hohepriesterin liegt in meiner Hand. Wollt Ihr verhandeln, um es zu retten?«
Er kochte vor Wut, hielt kurz inne und schien an mir nach Zeichen von Schwäche zu suchen. Doch alles, was er sehen konnte, war meine Feindseligkeit.
»Sei vorsichtig mit dem, was du verlangst. Ich werde nicht groß verhandeln.«
Er versuchte, mich einzuschüchtern, und so die Situation unter seine Kontrolle zu bringen. Ich hörte die Prahlerei in seinen Worten und überlegte nicht lange, bevor ich etwas darauf erwiderte.
»Mein Königreich ist gefallen, aber Tausende meiner Untertanen sind noch am Leben. Gewährt ihnen freien Abzug aus der Stadt, jedem einzelnen von ihnen, dann will ich Eure Schwester verschonen.«
Er verzog den Mund und gab nur ein lautes Knurren von sich.
»Ihr wolltet Hytanicas Land, nicht seine Bewohner. Also ist meine Forderung berechtigt.«
Ich wartete und fühlte mich ob meiner Kühnheit geradezu schwindelig, während er überlegte und dazu ein furchterregend grimmiges Gesicht machte. London trat neben mich, nachdem er sich mühsam wieder erhoben hatte. Und seine Präsenz unterstrich meine Forderung.
»Morgen«, sagte der Overlord schließlich. »Morgen werde ich dir meine Antwort darauf geben.«
Ich nickte. »Ausgezeichnet.«
London und ich rührten uns nicht, solange der Overlord und Narian zu ihren Pferden zurückkehrten und aufsaßen. Kurz bevor sie im Wald verschwanden, richtete der Kriegsherr noch einmal seinen bösartigen und gnadenlosen Blick auf mich.
»Du wirst für das hier bezahlen«, versprach er, und ich fühlte mich einen Moment lang, als könne ich nicht atmen.
Wir brachen kurz nach unserem Feind auf. Trotz der eindeutigen Bedingungen, die wir in unserer Nachricht gestellt hatten, und trotz Galens Deckung für uns wollte London nicht riskieren, dass man uns folgte, und führte mich auf großen Umwegen zu unseren Pferden zurück. Noch auf dem Ritt zurück zur Höhle blickte er sich immer wieder um. Es gab jedoch keinerlei verdächtige Anzeichen auf Verfolger, was wohl bedeutete, dass der Overlord uns ernst nahm.
Ich begann zu zittern, als mein Mut mich verließ und mir langsam klar wurde, welch einem Bösewicht ich soeben begegnet war. Dennoch wagte ich zu hoffen, dass wir mit unserer Strategie Erfolg haben könnten. Als wir wieder am Unterschlupf eintrafen, versammelten sich die Männer rund um die Feuerstelle und London berichtete, was sich zugetragen hatte. Den Angriff des Overlord auf seine Person ließ er weg, dafür erntete ich viel Lob für mein Verhandeln.
»Ich war unerwartet außer Gefecht gesetzt« war alles, was er über sich preisgab. Ich fragte mich, ob Galen den anderen später detaillierter berichten würde.
Als wir auseinandergingen, fielen die letzten Zweifel an der Richtigkeit meines Verhaltens von mir ab, denn zum ersten Mal seit langer Zeit sah ich London richtig grinsen. Er schien ziemlich optimistisch, dass alles nach Plan verlaufen würde.
27. KEINE ZEIT FÜRS ABSCHIEDNEHMEN
London brach in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages, noch bevor die Sonne aufging, erneut auf, um den Overlord zu erwarten. Er befand es für unnötig, dass ich ihn erneut begleitete. Nachdem ich mit eigenen Augen gesehen hatte, wozu der Overlord in der Lage war, behagte mir die Vorstellung gar nicht, dass mein ehemaliger Leibwächter allein reiten wollte, doch er versprach mir, dass es gut gehen und er bis zum Abend, wenn nicht sogar früher, mit einer Nachricht zurück wäre.
Den Großteil des Tages verbrachte die Hohepriesterin mit Steldors Heilung. Ich saß in gebührendem Abstand, misstrauisch, aber auch fasziniert, und konnte ihre Fähigkeiten nicht leugnen. Steldors Fieber war abgeklungen, die Entzündung heilte, und er setzte sich immer häufiger auf. Cannan ermunterte ihn immer wieder zum Essen und Trinken und versuchte ihm zu erklären, was Nantilam mit ihm machte. Meist reagierte er jedoch gar nicht darauf.
Halias war de facto zur Bewachung der Hohepriesterin abgestellt und übernahm nur noch selten eine Wache draußen. Galen und Temerson teilten sich diese Pflicht sehr bereitwillig, wobei Temerson alle überraschte. Die Dinge, die er gesehen, die Grausamkeiten, die er aus nächster Nähe erlebt hatte, all das hatte ihn härter gemacht und in ihm den Wunsch erweckt, zu helfen, wo er nur konnte. Es war seltsam, ihn so verändert zu sehen. Selbst sein Stottern war verschwunden. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass es nun nichts mehr gab, was ihn noch hätte
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