Alera 02 - Zeit der Rache
bleibt keine andere Wahl, Alera. Es tut mir leid, ganz aufrichtig leid, aber ich muss dem Hauptmann zustimmen. Wir können die Hohepriesterin nicht herausgeben, denn sie ist alles, was wir in der Hand haben.« Seine Stimme klang gepresst, und es war offensichtlich, dass die Nerven aller Anwesenden blank lagen.
»Der Overlord ist gerissen genug, um zu wissen, dass wir seine Schwester nicht leichtfertig umbringen werden«, fügte Cannan hinzu. »Er wird uns also bis zum Anschlag quälen. Er liebt solche Spielchen.«
»Aber sie sind meine Eltern!«, schrie ich wütend, und meine Kehle fühlte sich wie aufgerissen und rau an. »London, bitte!«
Ich wandte mich an den Mann, der jahrelang mein Leibwächter gewesen war und der meine Liebe zu den beiden Menschen, deren Leben hier auf dem Spiel stand, nur zu gut kannte.
»Der Zorn des Overlord darf sie nicht treffen! Sie sind doch nicht einmal mehr die Herrscher Hytanicas. Wir müssen sie retten, ich muss sie retten. Das ist die Rache des Overlord, um mich dafür bezahlen zu lassen, dass ich ihn herausgefordert habe. Ich flehe dich an, lass das nicht zu!«
»Wir können sie retten«, erklärte London in resigniertem Ton, und mitgerissen von einer Welle der Erleichterung bemerkte ich die seltsame Leere in seiner Miene erst, als Halias seinen Namen sagte. Er sah seinen Kameraden an, als hätte er die Gegenwart von uns anderen momentan vergessen, und der Dank, den ich schon auf den Lippen gehabt hatte, erstarb.
»Wie?«, fragte ich ängstlich.
»Wir tauschen sie aus, allerdings nicht gegen die Hohepriesterin«, erklärte London und war nun so weiß wie die Schneeflecken draußen vor der Höhle.
Mich schwindelte. »Und was sollen wir ihm stattdessen geben?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und zögerte noch kurz, bevor er entschieden antwortete. »Vor vielen Jahren haben der Overlord und ich ein Band des gegenseitigen Hasses geschmiedet. Wenn ich mich ihm zum Austausch anbiete, wird er deine Eltern freilassen. Denn es wird ihm ein viel größeres Vergnügen bereiten, mich in seiner Gewalt zu haben.«
»Nein«, sagte ich sofort, und wie ein Echo stimmten auch andere mir zu.
»Das kannst du nicht tun«, reagierte Halias heftig. »Wir verdanken es dir, dass wir überhaupt bis hierhergekommen sind. Ich kann nicht zulassen, dass du dieses Opfer bringst.«
»Mein Bruder würde auf den Handel eingehen«, sagte die Hohepriesterin unvermittelt, und in ihrem Blick waren Ehrfurcht und tiefgründiger Respekt zu erkennen, während sie London musterte. »Zweifellos.«
London nickte in ihre Richtung und schien ihre Unterstützung zu schätzen, auch wenn in seinem Blick keine Wärme lag. Dann sprach er erneut zu Halias.
»Du kannst und wirst mich ziehen lassen. Es bedeutet ein Leben im Austausch für zwei.«
»Aber … aber er wird dich töten.« Ich sagte das Offensichtliche und wiederholte damit nur, was er ohnehin bereits klargemacht hatte. »Du wirst sterben.«
»Wahrscheinlich.«
»Nein«, jammerte ich und trat noch einen Schritt auf ihn zu. »Nein, ich will nicht, dass du stirbst, bitte nicht. Es muss noch einen anderen Weg geben.«
»Du hast keine andere Wahl, Alera. Mein ganzes Leben lang habe ich die Königsfamilie beschützt. Und zu diesem Opfer habe ich mich schon die längste Zeit bereit erklärt.«
Der Handel bedeutete, Londons Leben für das meiner Eltern zu opfern. Ich wusste das, weigerte mich jedoch, es zu akzeptieren. Wie konnte ich mich von ihm verabschieden? Weinend warf ich mich in seine Arme und verbarg mein Gesicht an seiner Schulter. Ich klammerte mich an ihn und hatte Mühe zu begreifen, dass dies eine meiner letzten Gelegenheiten war, seine Wärme zu spüren, seinen vertrauten Geruch zu atmen und aus seiner Kraft Trost zu ziehen. Ich liebte ihn von ganzem Herzen. Er war, seit ich ihn kannte, nie ein Mensch gewesen, der seine Gefühle zeigte, doch jetzt erwiderte er nach und nach meine Umarmung und hielt mich, während ich wie ein Kind weinte.
Als mein Schluchzen abgeklungen war, führte er mich zu Miranna hinüber, die sich dieses eine Mal um mich kümmerte. Dann setzten sie und ich uns gemeinsam auf unsere Schlaflager. Er ging zu Cannan zurück, um sich mit ihm zu besprechen, während Halias sich weiter ums Essen kümmerte.
Schließlich aßen wir alle. Danach übernahm Galen die Wache und schickte Temerson hinein, damit auch er essen konnte. Anschließend gingen wir auseinander. Halias, um die Hohepriesterin zu bewachen, Cannan, um nach
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