Alera 02 - Zeit der Rache
Steldor zu sehen, der Rest versuchte zu schlafen. Die zweite Nacht in Folge war mir diese Erholung nicht vergönnt, denn ich fürchtete, wenn ich die Augen schloss, festzustellen, dass mir meine letzten Stunden mit London entgangen wären.
Irgendwann döste ich ein, nur um kurz darauf von Albträumen gequält wieder aufzuschrecken. Ich stand auf und bemerkte, dass alle anderen bis auf Halias, der in Nantilams Nähe an die Wand gelehnt saß, noch schliefen. Ich sagte nichts zu ihm, obwohl ich seinen Blick auf mir spürte. Stattdessen begab ich mich zu der Stelle, an der London sich sein Lager bereitet hatte, doch dort war niemand. Er hatte mich gebeten zu schlafen, doch er selbst war offensichtlich nicht dazu in der Lage gewesen. Rasch suchte ich mit den Augen den Rest der Höhle ab, doch nirgends war eine Spur des Hauptmannstellvertreters. Einen Moment lang schnürte Panik mir die Kehle zu. Er hatte versprochen, nicht vor dem Morgengrauen aufzubrechen, wo war er also hin?
»Er ist draußen«, ließ Halias mich leise wissen, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich nickte und schlüpfte durch den Spalt im Fels hinaus in die kalte Nacht. Sofort wünschte ich, ich hätte mir einen Umhang mitgenommen. Doch als mein Blick auf London fiel, verwarf ich den Gedanken, noch einmal hineinzugehen, sofort. Er saß links von mir an die Felswand gelehnt. Traurig hielt er den Kopf gesenkt und schien mich nicht einmal zu bemerken, als ich mich neben ihm auf die Erde sinken ließ.
»London?«
Reflexartig hob er den Kopf in meine Richtung, senkte ihn jedoch sofort wieder, allerdings nicht so schnell, dass ich die Tränenspuren auf seinen Wangen nicht gesehen hätte. Ich war erschrocken, ihn beim Weinen ertappt zu haben, denn eigentlich war er wie Cannan ein Mensch, der alles still erduldete. Aber die Anspannung unter der wir hier lebten, war groß genug, um selbst die ruhigsten Gemüter aus der Fassung zu bringen. Cannan hatte ja auch beinahe den Verstand verloren.
»Es tut mir leid«, murmelte ich, ohne selbst genau zu wissen, was ich meinte, aber er spürte zumindest, dass ich aufrichtig war.
»Es geht nicht um das, was du glaubst«, erwiderte er mit immer noch gesenktem Kopf und seltsam belegter Stimme.
»Worum denn dann?«
Ich wünschte, er würde sich mir anvertrauen. Wenigstens dieses eine Mal jemand sein Herz ausschütten, auch wenn ich zu ahnen meinte, was ihn umtrieb. Er konnte doch nicht morgen in den Tod gehen und alles, was ihn bedrückte, unausgesprochen lassen. Er schwieg eine ganze Weile, aber ich wusste, dass das nicht gegen mich gerichtet war.
»Alera, ich habe dir nicht alles gesagt«, begann er endlich.
Ich ließ seine Worte erst einmal so stehen, weil ich mir nicht sicher war, was er damit meinte.
»Möchtest du es mir jetzt sagen?«
»Du sollst nicht«, sagte er unvermittelt und ich wusste wieder nicht, was das bedeutete. »Es ist … du sollst nicht … du kannst nicht …«
Was auch immer ihn beschäftigte, war offenbar schwer zu formulieren.
»Es war meine Schuld. Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich …«
»Wovon redest du?«, fragte ich nach, als ich es nicht mehr aushielt. Ich versuchte, behutsam zu sein, auch wenn der Schmerz in seiner Stimme mir die Brust eng werden ließ. Ich wollte ihm helfen, wusste aber nicht wie, weil seine Worte für mich keinen Sinn ergaben.
»Ich habe doch erzählt, dass ich dir etwas verschwiegen habe … etwas, das heute passiert ist, mit deinen Eltern.«
Ich spürte, wie ich mich unbewusst aus dem Gespräch zurückziehen wollte, obwohl meine Lippen Worte formten, die ich am liebsten nicht gesagt hätte.
»Was?«
»Ich hatte noch nicht mit dem Overlord gesprochen. Ich suchte unseren Spähposten oberhalb der Lichtung auf, wo Galen gestern gewartet hatte, und dann sah ich ihn kommen, zusammen mit deinen Eltern, aber … nicht nur mit deinen Eltern. Er wusste, dass ich da irgendwo war, dass ich ihn beobachten würde, also ergriff er die Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren und unmissverständlich klarzumachen, dass er deine Eltern ermorden wird, wenn wir nicht kooperieren.«
Der Schmerz, der aus seinen Worten klang, erschreckte mich. So hatte ich ihn noch nie erlebt, und ich konnte mir nicht vorstellen, was der Overlord getan haben mochte, dass er sich so elend fühlte.
»Er … er hat Destari gefoltert und ermordet, vor meinen Augen, und ich habe nichts getan, um ihn davon abzuhalten. Ich hatte geglaubt, Destari wäre bereits tot, denn wenn ich
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