Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
weit zurückliegender Zeit erfolgt war, daß dort Kulturen zusammenbrechen und einander ablösen konnten.
Es befanden sich ein paar Biographien darunter, ein paar Handbücher über planetare Wissenschaften, einige wenige mythologische Texte und ein paar allgemeine Nachschlagewerke.
Gabe hatte nie viel Interesse an Literatur um ihrer selbst willen gezeigt. Er hatte Homer gelesen, bevor wir nach Hissarlik flogen, Kachimonda vor Battle Key und so weiter. Als ich in einem abgelegenen Winkel des Hauses auf ein paar Bände von Walford Candles stieß, nahm ich sie aus dem Regal und legte sie neben das Material, das ich aus der Bibliothek mitgebracht hatte, fügte die Gerüchte von der Erde aus Gabes Schlafzimmer hinzu und zog mich mit allem ins oben gelegene Arbeitszimmer zurück.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht viel über Candles’ literarische Reputation gewußt. Doch ich lernte schnell. Er war von Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit fasziniert, von zu schnell aufgegebenen Leidenschaften, von der Jugend, die zu leicht im Trauma des Krieges verloren geht. Die glücklichsten Menschen waren ihm zufolge jene, die heroisch für einen Grundsatz starben. Wir anderen bleiben zurück, um unsere Freunde zu überleben, um Liebe erkalten zu sehen und den langen Winter in unserem Leben zu fühlen.
Die Lektüre deprimierte mich über den ganzen Abend hinweg, doch ich konnte mich den Gedichten nicht entziehen. Schließlich blätterte ich zurück und las noch einmal ›Leisha‹.
Verlorene Pilotin,
Sie fliegt ihren einsamen Orbit
Weit von Rigel,
Und sucht in der Nacht
Das Sternenrad.
Treibend in uralten Gewässern,
Bezeichnet es den langen Jahresverlauf
Neun am Rand,
Zwei an der Nabe.
Und sie,
Wandernd,
Kennt weder Hafen,
Noch Rast,
Noch mich.
Rigel hatte nur eine Bedeutung: Sims Tod. Doch was bedeutete der Rest? Den Anmerkungen war zu entnehmen, daß der Dichter das Werk für vollendet hielt. Und nichts deutete darauf hin, daß die Herausgeber das Gedicht für verwirrend hielten. Natürlich erwartet man immer, von großer Dichtkunst verwirrt zu werden, nehme ich an. Der Einführung von Dunkle Sterne, dem ersten Band der Reihe, entnahm ich, daß Walford Candles, Professor für klassische Literatur, niemals verheiratet und zu seiner Zeit nicht besonders geschätzt gewesen war. Ein unbedeutendes Talent, hatten seine Zeitgenossen übereinstimmend befunden.
Für uns stellt sich die Sache ganz anders dar.
Überall in seinem Werk schimmert durch, wie schmerzlich die Opfer waren, die von den Männern und Frauen verlangt wurden, die mit Christopher Sim kämpften. Die meisten Gedichte in Dunkle Sterne, Nachrichten von der Front und Auf den Mauern wurden angeblich im Inneren Raum auf Khaja Luan geschrieben, während er darauf wartete, die unausweichlichen Nachrichten über alte Freunde zu vernehmen, die den Dellacondanern zu Hilfe geeilt waren. Candles selbst behauptet, seine Dienste angeboten zu haben, aber zurückgewiesen worden zu sein. Keine einsetzbaren Fähigkeiten. Anstatt zu kämpfen, war seine Aufgabe lediglich,
Auszuharren und die Namen jener zu zählen,
Deren Staub die grauen Welten von Chippewa
Und Cormoral umkreist.
Candles beobachtet aus einer nur schwach erhellten Ecke, wie junge Freiwillige eine Abschiedsfeier halten. Einer wirft einen Blick zu dem Dichter mittleren Alters, nickt, und Candles neigt den Kopf zu einem stillen Gruß.
Am Abend, an dem sie von Chippewa erfuhren, tritt ein wohlhabender Arzt ein, den nie zuvor jemand im Inneren Raum gesehen hat, und bestellt eine Runde für alle. Seine Tochter starb an Bord einer Fregatte, wie Candles erfährt.
In ›Gerüchte von der Erde‹, dem Arbeitstitel seines vierten Bandes, beschreibt er die Auswirkungen der Berichte, daß die Heimatwelt in den Krieg eingreifen wird. Wer, so fragt er, wird es dann wagen, abseits zu stehen?
Doch es kommt nicht dazu, und trotz Chippewa, trotz hundert kleiner Siege, wird die aufgeriebene Flotte ständig zurückgedrängt, in die letzte, fatale Falle bei Rigel.
Die Gedichte sind datiert, und es gibt eine Lücke, die zur Zeit von Sims Tod beginnt und sich über fast ein Jahr erstreckt. Während dieser Zeit scheint Candles nichts geschrieben zu haben. Und dann kommt seine schreckliche Anklage gegen die Erde und Rimway und die anderen, die so lange gewartet haben:
Unsere Kinder werden erneut
ihrem stummen Zorn gegenüberstehen,
Und sie werden ohne den Krieger auskommen müssen,
Der auf dem
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