Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
breitet sich das Archiv der Konföderation über fast einen Quadratkilometer ursprüngliches Parkland aus.
Es befindet sich in einem romanischen Gebäude, bewacht von Sharpleys berühmter Bronzestatue von Tarien Sim, die Instrumentarienrolle (deren Verabschiedung er allerdings nicht mehr erlebte) in der ausgestreckten Hand.
Der Schnee war verschwunden, es war viel zu warm für die Jahreszeit geworden, und die vereinten Flaggen der Welten schlugen in der Brise, beherrscht von der grünen und weißen Flagge der Menschheit.
Der Tag war viel zu schön, um ihn in vier Wänden zu verbringen, und so legte ich das Stirnband ab und gesellte mich zu den beträchtlichen Menschenmengen, die den Sonnenschein genossen.
Touristen drängten sich auf den Bürgersteigen und um die Monumente. Ein Fremdenführer näherte sich mit seiner Gruppe dem Archiv, dem ältesten Regierungsgebäude in Andiquar, das vom Ende der Zeit der Sorgen stammte. Es war mehrmals restauriert worden, zum letztenmal erst kürzlich vor vier Jahren, im Sommer 1410, und stellte eine Schatzkammer für Altertumsforscher dar. Immer wieder fand man an den obskursten Stellen wertvolle, lange verloren geglaubte Dokumente.
Im Inneren des Gebäudes war die Hauptgalerie relativ leer. Eine kleine Gruppe Schulkinder und ein Lehrer scharten sich um den Behälter aus Marmor und Glas, der das Instrumentarium der Konföderation und einige damit zusammenhängende Dokumente enthält. Ein paar andere aus der Gruppe sahen zur Absichtserklärung hoch, der gemeinsamen Entscheidung Rimways und der Erde, in den Krieg gegen die Ashiyyur einzugreifen. Ich ging an dem uniformierten Kameraden vorbei, der am Südbogen stand, und begab mich in die Bibliothek.
Dort waren Simulationen der bedeutenden Entscheidungen des Widerstands zu sehen. Die Kreisel. Vendicari. Black Adrian. Grand Salinas. Die Nut. Rigel. Tippimaru. Und schließlich Triflis, wo die menschliche Rasse zum erstenmal gemeinsam vorging.
Auch nach zwei Jahrhunderten hatten diese Namen noch einen beschwörenden Klang. Der Stoff, aus dem Legenden sind.
Ich wählte fünf aus: Eschaton, Sanusar, die Nut, Rigel und die Kreisel. Bei den letzteren handelt es sich natürlich um den klassischen Angriff, den einige für den Wendepunkt des Krieges halten.
Als ich auf dem Nachhauseweg träge über die Hauptstadt dahintrieb, fragte ich mich, wie es wohl gewesen sein mochte, in einer Welt der organisierten Selbstverstümmelung zu leben.
Es gab noch immer Spannungen und gelegentlich auch Gefechte, doch sie vollzogen sich in weiter Ferne, an der Peripherie. Ich konnte mir nur schwer ein Dasein vorstellen, das ein aktives, alltägliches, institutionalisiertes Gemetzel einschloß. Und mir kam in den Sinn, daß sich der letzte Konflikt, der ausschließlich auf Menschen begrenzt gewesen war, auf dem Höhepunkt des Widerstands zugetragen hatte. Während in der Nut eine Reihe kritischer Schlachten ausgefochten wurden, hatte Toxicon, dessen mächtige Flotten Sim verzweifelt benötigte und umwarb, die Gelegenheit ergriffen und den dellacondanischen Verbündeten Muri angegriffen. Später würde Sim diesen Überfall die dunkelste Stunde des Krieges nennen.
Heute, vielleicht zum erstenmal in der Geschichte, lebt kein Mensch mehr, der aus persönlicher Erfahrung weiß, wie es ist, Krieg gegen seine Brüder zu führen. Und dieser glückliche Umstand ist das wahre Erbe von Tarien und Christopher Sim.
Obwohl es damals niemand begriff, war der Angriff auf Muri vielleicht das Beste, was passieren konnte, denn er brachte die öffentliche Meinung auf Toxicon derart in Aufruhr, daß die autokratische Regierung dieser Welt innerhalb eines Jahres zusammenbrach. Die Interventionisten ergriffen, tatkräftig unterstützt von einem seltenen Bündnis zwischen der allgemeinen Bevölkerung und dem Militär, die Macht, und erklärten prompt ihre Absicht, die Dellacondaner zu unterstützen. Tragischerweise folgte Toxicons nachhallender Kriegserklärung ein paar Stunden später die Nachricht, daß Christopher Sim bei Rigel gefallen sei.
Ich kehrte zu einem gemächlichen Abendessen nach Hause zurück und trank etwas mehr Wein als üblich. Jacob war still.
Es war kalt und stürmisch geworden. Der Wind ließ die Bäume und das Haus erzittern.
Ich wanderte von Raum zu Raum, blätterte Gabes Bücher durch, hauptsächlich alte Geschichts- und Archäologietexte, Berichte über Ausgrabungen auf den fünfundzwanzig oder dreißig Welten, deren Besiedlung vor genügend
Weitere Kostenlose Bücher