Alex Benedict 03: Die Suche
Alex.
»Es wird ein paar Minuten dauern. Ich werde einige Ermessensentscheidungen treffen müssen.«
»Gut. Sag Bescheid, wenn du fertig bist.« Alex wirkte an diesem Morgen irgendwie abgelenkt. Während er wartete, wanderte er durch das Haus, rückte Stühle zurecht und zupfte Vorhänge glatt. Dann blieb er vor einem der Bücherschränke stehen und starrte die Bücher an.
»Alles in Ordnung, Alex?«, fragte ich ihn.
»Natürlich.« Er schlenderte zu einem Fenster und blickte hinaus in den rötlich schimmernden, bewölkten Himmel.
»Du denkst an diese Disketten.«
»Ja. Das blöde Weib wirft sie einfach weg.«
»Es ist nicht ihre Schuld«, sagte ich. »Sie konnte nicht wissen, wie wertvoll sie sind.«
Er nickte. »Bloß gut, dass sie das Hemd nicht auch noch weggeschmissen hat.«
»Hältst du es irgendwie für möglich«, fragte ich, »dass die Kolonie überlebt haben könnte? Dass sie immer noch irgendwo da draußen sind?«
»Die Margolianer? Nach neuntausend Jahren?« Er sah nicht überzeugt aus. »Das wäre eine hübsche Entdeckung. Aber, nein. Keine Chance.«
Blöde Frage. Wären sie noch da, wie hätte es dann möglich sein können, dass in all der Zeit niemand irgendetwas von ihnen gehört hat? »Falls sie wirklich da draußen waren, könnte es doch sein, dass sie nicht gefunden werden wollten.«
»Falls Bäume fliegen könnten«, konterte er.
»Falls ich einen Roman schreiben wollte«, sagte ich, »hätten sie das Erdbeben ausgelöst, das die Wescotts umgebracht und ihre Suche beendet hat.«
»Und warum sollten sie ihre Existenz geheim halten wollen?«
»In ihren Augen sind wir Barbaren.«
»Deine Meinung, Chase.« Er machte ein Geräusch tief in seiner Kehle und setzte sich auf das Sofa. »Sie sind nicht nur ausgestorben, es muss auch noch ziemlich schnell gegangen sein.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil spätere Generationen den Groll nicht geteilt hätten, den Harry Williams und seine Freunde empfunden haben. Das wäre einfach nicht passiert. Sie hätten wieder Kontakt aufgenommen. Irgendwann. Und das wäre für alle von Vorteil gewesen.« Seine Lider schlossen sich. »Sie hätten gar nicht anders gekonnt. Beispielsweise wären sie nach einigen Jahrtausenden, uns gegenüber genauso neugierig gewesen, wie wir es ihnen gegenüber sind. Aber der Standort ihrer Kolonie ist noch irgendwo da draußen. Und ich sage dir, Chase, wenn wir es schaffen, Artefakte von diesem Ort zu holen, dann verdienen wir richtig viel Geld.«
Ein langes Schweigen trat ein. Irgendwann wurde mir allmählich bewusst, dass jemand hinter mir stand, in der Nähe der Bürotür. Es war ein großer, dunkelhäutiger Mann in mittlerem Alter, dessen Kleidung aus einem anderen Jahrhundert stammen musste. Cremefarbene Weste, ein weites, bis zum Bauchnabel offenes schwarzes Hemd, eine weiße Hose, wie man sie vielleicht auf See tragen mochte. Alles in allem ein bisschen zu auffällig für unsere Zeit. Er lächelte, sah erst mich, dann Alex an und sagte im tiefsten Bariton, den ich je gehört hatte, Hallo zu uns.
»Harry Williams«, sagte Alex und setzte sich auf.
»Zu Diensten, Sir. Und, Chase, ich würde den Gedanken, sie könnten überlebt haben, nicht zu schnell fallen lassen.« Er durchquerte den Raum und nahm in dem Armsessel Platz, der Alex am nächsten stand. »Denken Sie, dass Sie die Kolonialwelt finden können?«
Ich schaltete auf Standbild. »Alex, soweit ich weiß, gibt es keine Bilder von ihm.«
»Man muss nur hartnäckig genug sein.« Er grinste. »Gib niemals auf. Das ist mein Motto.«
»Wo hast du sie gefunden?«
»Es gibt tatsächlich nur sehr wenige. Dieses stammt aus den Memoiren eines seiner Zeitgenossen.«
Der Kerl sah gut aus. Noble Ausstrahlung und so. Ich konnte verstehen, warum die Leute bereit gewesen waren, ihm zu folgen. Sogar zu fernen Orten, an denen es nicht einmal ein Restaurant gab. Alex fummelte an seinem Notebook herum und reaktivierte Harry. »Das Ziel war, ›frei denkende Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft zu fördern‹, richtig, Harry?«
»Sind das Ihre Worte?«, fragte ich.
»Ja.«
»Ein edles Ansinnen.«
Er nickte. »Bedauerlicherweise ist das, realistisch betrachtet, eine Übertreibung. Niemand lebt in einer freien Gesellschaft.«
»Wir schon.«
»Das bezweifle ich. Wir alle glauben, was schon unsere Eltern geglaubt haben. In den ersten paar Jahren, wenn der Geist noch für alles offen ist und man noch glaubt, die Erwachsenen wüssten, wie die Welt funktioniert,
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