Alex Benedict 06 - Firebird
haben nicht den kleinsten Hinweis darauf, wonach wir suchen sollen. Aber das bedeutet nicht, dass ich einfach zur Seite trete und zusehe, wie jemand anderes meinen Platz einnimmt.«
Mit dem Gesichtsausdruck, den er gewöhnlich aufsetzte, um mir zu bedeuten, dass ich möglicherweise vergessen hätte, wer der Boss ist, warf er einen Blick auf den Kalender. »Chase«, sagte er, »du hast in dieser Sache nichts zu sagen.«
»Natürlich habe ich. Wenn du mich zurücklässt, werde ich nicht mehr hier sein, wenn du zurückkommst.«
Er blinzelte kaum. »Dann wirst du gehen müssen, Chase.«
»Dieses Mal komme ich nicht zurück.«
Wir befanden uns im Konferenzzimmer, und Alex ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Versteh das«, sagte er schließlich. »Diese Sache ist einfach zu gefährlich.«
»Dann blas sie ab. Zumindest, bis wir wissen, was wir tun.«
»Wie wäre es, wenn wir es einfach um ein paar Tage verschieben? Hast du je den Feuervogel gesehen?«
»Eher nicht. Den gibt es seit vierzig Jahren nicht mehr.«
»Nein, ich spreche von Igor Strawinski.«
Den Namen hatte ich schon mal gehört. »Der Bildhauer«, sagte ich.
»Er war Komponist.«
»Klar. Aber, nein, habe ich nicht. Das ist ein Ballett, richtig?«
»Ja.«
»Ich habe für Ballett nicht viel übrig.«
»Kommt es dir nicht seltsam vor, dass Robin seine Jacht genauso genannt hat?«
»Genauso wie was?«
»Wie das Ballett.«
»Oh.« Ich schätze, ich zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht.«
Sein Blick wanderte zur Decke. Er hatte es mal wieder mit einem Kindergarten zu tun. »Chase …«
»Das ist purer Zufall.«
»Pfarrer Everett hat dir erzählt, dass er die klassischen Komponisten geliebt hat. Damit, dass er die Jacht Feuervogel genannt hat, wollte er Strawinski ehren.«
»Gut. Und?«
»Vielleicht nichts. Vielleicht ein bisschen mehr.«
»Wie meinst du das?« Ich starrte ihn an. »Willst du etwa andeuten, es könnte tatsächlich einen Sinn haben, diesen Kram anzuschauen?«
»Im Central ist an diesem Wochenende eine Vorstellung.«
»Alex, ich bin nicht erpicht …«
»Du wirst es lieben«, sagte er. »Ich werde Audree einladen. Du hast zwei Tickets auf deinem Link. Falls du uns begleiten möchtest.«
Manchmal fügen sich die Dinge einfach. Ich weiß nicht, ob wir hinsichtlich Robin und Villanueva je weitergekommen wären, hätten wir nicht mit den Tänzern angefangen. Das Central-Theater lag, seinem Namen zum Trotz, am Meer. Ich lud Hal Kaisson ein, ein Amateurmusiker und vielleicht der einzige Mensch, den ich kannte, der an einem neuntausend Jahre alten Ballett vermutlich seine Freude haben würde.
Schon gut, ich weiß, was Sie denken. Ich habe nun mal einfach kein Interesse an Ballett. Trotzdem sagte ich mir, dass irgendetwas dran sein musste, wenn das Stück so lange aufgeführt wurde.
Alex fragte mich, ob ich die Handlung kenne. Auch das interessierte mich nicht sonderlich, also erklärte ich ihm, ich würde es im Verlauf der Aufführung schon erfahren. »Ivan«, sagte er, »ist ein russischer Prinz.«
»Was für ein Prinz?«
»Ein russischer. Russland war ein Gebiet, ein Staat in Nordeuropa.«
»Okay.«
»Jedenfalls gibt es da einen Unsterblichen, der in einem Wald lebt. Kastschej. Er mag keine Besucher, und er wird sauer, als Ivan auftaucht.«
»Hört sich bis dahin ja richtig spannend an.«
Das brachte mir erneut den tadelnden Blick ein. »Also gut, vergiss es. Aber die Musik dürftest du auf jeden Fall genießen.«
Es ist nicht gerade Hamlet , aber wenn es erst einmal losgeht, dann ist die Musik wirklich recht gut, und die Choreographie hat mich umgehauen. Der Wald ist ein verwunschener Ort, der nicht nur diesem Unsterblichen ein Zuhause bietet. Auch andere übernatürliche Kreaturen huschen, flattern, tollen durch den Wald. Eine davon ist der Feuervogel, der anscheinend eine Art Halbgott ist. An diesem Abend wurde er von einer Tänzerin dargestellt, gewandet in Rot und Gold, so sie überhaupt gewandet war. Und als sie sich über die Bühne bewegte, schien sie den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen. Ivan fängt sie, erweicht sich jedoch klugerweise für sie und gibt sie wieder frei. Der Feuervogel verspricht ihm daraufhin, ihm zu helfen, wenn er einmal Hilfe brauche. Was, natürlich, eintritt.
Die Musik, vorwiegend Streichmusik, war mal glutvoll, mal melancholisch, aber immer fesselnd. Es gab Augenblicke, da brachte sie mein Herz zum Rasen. Und alles schien so vertraut. Es war, als hätte ich nur nicht gewusst,
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