Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
»Nana hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen und Ihnen sämtliche Fragen zu beantworten. Ich würde nie etwas hinter ihrem Rücken tun und sie irgendwie bevormunden.«
»Das ist eine gute Idee«, sagte ich. »Ich glaube, Sie würden feststellen, dass es verdammt schwierig ist, sie zu bevormunden.«
Kayla lachte. »Oh, ich weiß . Ich hatte Mrs. Regina Hope Cross in der achten Klasse. Sie ist die inspirierendste Lehrerin, die ich je hatte. Das schließt auch das Studium in Brandeis und in Tufts ein. Ich wollte Ihnen nur mein Resümee mitteilen.«
»Okay, ich bin beeindruckt. Und jetzt zu Nana. Was ist mit ihr los?«
Kayla seufzte. »Sie wird alt, Alex. Sie bekennt sich zu ihren zweiundachtzig. Die Ergebnisse der Tests, die wir in St. Anthonys gemacht haben, sind erst morgen oder übermorgen ausgewertet. Das Labor ruft mich an, danach rufe ich Nana selbst an. Meine Sorge? Sie hat seit mehreren Wochen Herzrasen, dazu Schwindel und Kurzarmigkeit. Hat sie Ihnen das gesagt?«
Ich schüttelte den Kopf. Plötzlich fühlte ich mich furchtbar schuldbewusst. »Ich hatte keine Ahnung. Mir hat sie gesagt, sie fühle sich prima. Vor etlichen Wochen hatte sie einen schlechten Morgen, aber seither hat sie sich nicht mehr beschwert.«
»Sie will nicht, dass Sie sich ihretwegen Sorgen machen. Als sie im St. Anthony’s war, haben wir auch ein EKG gemacht, reine Routine. Wie ich schon sagte, ihr Herzschlag ist unregelmäßig. Positiv ist andererseits, dass es kein Anzeichen für ein Ödem gibt. Ihre Lungen sind sauber. Nichts deutet auf einen Gehirnschlag hin, nicht mal einen leichten. Nana hat für ihr Alter eine allgemein gute Muskelstärke.«
»Aber was ist ihr zugestoßen? Irgendeine Idee?«
»Nun, wir werden bald die Testergebnisse haben. Dr. Redd im Labor war auch in Nanas Klasse. Wenn ich eine Vermutung äußern soll – ich halte es für atriale Fibrillation. Dabei geht es um die beiden oberen kleinen Herzkammern, die Atria. Sie scheinen zu zittern, anstatt richtig zu schlagen. Es besteht das Risiko eines Blutpfropfens.«
»Ich nehme an, es ist in Ordnung, wenn sie heute Nacht hier bleibt«, sagte ich. »Ich will nicht, dass sie aus Sturheit nicht ins Krankenhaus geht, wenn es nötig ist. Geld spielt keine Rolle.«
Kayla Coles nickte. »Alex, ich bin der Meinung, dass sie durchaus daheim bleiben kann. Sie hat gesagt, ihre Schwester würde morgen aus Maryland kommen. Ich halte das für eine kluge Vorsichtsmaßnahme. Dann kann ihr jemand mit den Kindern und im Haus helfen.«
»Ich helfe bei den Kindern«, sagte ich. »Und im Haus.«
Sie zog eine Braue hoch. »Ich glaube, wir haben bereits festgestellt, dass Sie zu viel arbeiten.«
Ich seufzte und schloss ein paar Sekunden lang die Augen.
Die Neuigkeiten sanken jetzt erst richtig ein. Ich musste mich ihnen stellen. Nana war über achtzig, und sie war krank.
Kayla tätschelte meinen Arm. »Sie ist zwar alt, aber sie ist auch stark, und sie will noch eine ganze Weile bei uns bleiben.
Das ist wichtig, Alex. Nana glaubt, dass Sie und die Kinder sie brauchen.«
Schließlich gelang mir ein mühsames Lächeln. »Na ja, in dem Punkt hat sie Recht.«
»Lassen Sie sie nicht zu viel tun, ja?«
»Es ist schwer, sie auf Sparflamme zu halten.«
»Dann binden Sie sie fest, wenn’s sein muss«, sagte Kayla Coles und lachte.
Ich konnte nicht lachen. Ich wusste ziemlich viel über Herzkrankheiten aus meiner Zeit an der John-Hopkins-Universität.
Ich würde Nana mit Sicherheit scharf beobachten. »Was ist mit Ihnen, Doktor Coles? Was ist mit Ihrem Arbeitspensum? Fast zehn Uhr, und Sie machen noch Hausbesuche.«
Sie zuckte die Schultern. Die Frage schien ihr peinlich zu sein. »Ich bin jung. Ich bin kräftig und glaube, dass die Menschen in dieser Nachbarschaft einen ordentlichen Gesundheitsdienst brauchen, den sie sich leisten können. Und ich bemühe mich, ihnen das zu geben. Gute Nacht, Alex. Passen Sie gut auf Ihre Großmutter auf.«
»Das werde ich, versprochen.«
»Der Pfad zur Hölle«, sagte sie.
»Ist mit guten Vorsätzen gepflastert.«
Sie nickte und verließ die Veranda. »Sagen Sie allen eine gute Nacht von mir.« Dr. Coles lief die Fifth Street hinunter auf dem Weg zu ihrem letzten Hausbesuch für heute.
88
Am nächsten Tag suchte ich nach weiteren Hintergrundinformationen über die »Drei blinden Mäuse«. Ich klebte Notizen an die Wände in meinem Dachzimmer, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Nanas Labortests sollten am Nachmittag kommen.
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