Alex Rider 08: Crocodile Tears
Die beiden wollten ihn nicht töten, sondern mitnehmen. Der Lieferwagen war für ihn gedacht.
Alex setzte jeden Trick ein, den er je gelernt hatte. Er wusste, dass selbst erwachsene Männer es kaum schaffen würden, ihn in den Lieferwagen zu zerren – vorausgesetzt er konnte der Spritze ausweichen. Vor ihr musste er sich in Acht nehmen. Er versuchte also gar nicht erst, den Arm von seinem Hals zu lösen. Es wäre ihm sowieso nicht gelungen. Stattdessen nutzte er die Kraft des hinter ihm stehenden Gegners für sich aus. Er stieß sich mit den Füßen vom Boden ab und kickte sie mit voller Wucht nach vorn. Der zweite Mann hatte die Spritze gerade ansetzen wollen. Mit einem zufriedenen Grinsen sah Alex, wie er die Spritze mit den Schuhsohlen an die Brust des Mannes drückte und zerbrach. Wenn die beiden ihn damit außer Gefecht setzen wollten, konnten sie das jetzt vergessen. Denen würde er es zeigen.
Erst zehn Sekunden waren seit Beginn des Überfalls vergangen und Alex wusste, dass die Zeit für ihn arbeitete. Die Straßen von Chelsea waren ruhig, aber es war halb neun vormittags und die Menschen befanden sich auf dem Weg zur Arbeit. Weil ihm der Arm den Hals abschnürte, konnte er nicht um Hilfe rufen. Doch das Gerangel würde nicht lange unbemerkt bleiben.
Da bog auch schon jemand um die Ecke. Zu Alex’ großer Freude trug dieser jemand die blau-silberne Uniform eines Polizeibeamten. Der Polizist eilte auf ihn zu und der Mann hinter ihm ließ ihn los.
Dankbar holte Alex Luft.
»Was ist hier los?«, wollte der Polizist wissen.
»Dies e …«, fing Alex an und verstummte. Etwas hatte ihn unmittelbar über der Hüfte in den Rücken gestochen. Eine zweite Spritze! Offenbar hatte der Mann, der ihn festgehalten hatte, sie in der Tasche gehabt. Aber der Polizis t …?
Der Beamte rührte keinen Finger. Alle Kraft verließ Alex und die Beine knickten unter ihm ein. Da begriff er endlich. Der Polizist war genauso wenig echt wie die beiden Kuriere. Die drei steckten unter einer Decke. Sie hatten Alex überlistet und er war ihnen hilflos ausgeliefert. Langsam, aber unaufhaltsam entfaltete das Betäubungsmittel seine Wirkung. Die Straße kam auf ihn zu und kippte zur Seite weg. Er knallte nur deshalb nicht auf den Gehweg, weil einer der Kuriere ihn festhielt.
Er hätte sich ohrfeigen können. Eben erst hatte Jack ihm noch eine Standpauke gehalten. In Elms Cross hätte er sterben können, ohne dass sie je davon erfahren hätte. Er hatte ihr versprochen, die Aufklärung des Falls dem MI6 zu überlassen. Und jetzt das. In ein paar Stunden würde die Schule bei Jack anrufen und sie würde denken, dass er sein Versprechen schon wieder gebrochen hatte. Wenn diese Männer ihn töteten, würde sie es nie erfahren.
Alles war seine Schuld. Er hätte nicht zum Filmstudio gehen dürfen. Er hätte sich überhaupt nie mit Desmond McCain anlegen dürfen. Wenn er doch Jack anrufen könnte, um ihr das zu sagen. Aber es war zu spät. Er suchte nach einem Ausweg. Vielleicht konnte er noch einmal mit dem Bein zutreten oder sogar um Hilfe rufe n …
Alex war kaum noch bei Bewusstsein und unfähig, sich zu wehren. Die Männer verfrachteten ihn in den Lieferwagen. Das Zuknallen der Tür hörte er schon nicht mehr.
A lex öffnete die Augen.
Jemand machte sich an seinem Kopf zu schaffen. Er hörte das Schnippen einer Schere. Eine blonde Haarsträhne fiel vor seinen Augen hinunter.
Er saß auf einem Stuhl in einer Art Hotelzimmer. Die Jalousie am Fenster war heruntergelassen und aus den Augenwinkeln sah er ein ungemachtes Bett. Kein Teppich. Die beiden Kurierfahrer standen über ihm und schnitten ihm die Haare. Sie hatten ihn nicht gefesselt, das brauchten sie auch gar nicht. Er war immer noch wie betäubt und konnte sich nicht rühren. Statt der Schuluniform trug er inzwischen einen schlecht sitzenden Trainingsanzug. Seine Füße standen auf einer Art Halterung aus Metall, aber er hatte nicht die Kraft, nach unten zu blicken.
Die Männer unterhielten sich, doch er hörte ihre Stimmen wie aus der Ferne und verstand nicht, was sie sagten. Als der eine Typ merkte, dass Alex aufgewacht war, packte er ihn am Kopf und kniff ihn mit Daumen und Zeigefinger in die Wangen. Weitere Haarsträhnen purzelten ihm in den Schoß. Er spürte die Luft kalt an seiner Kopfhaut.
»Er ist wach«, sagte der Mann.
»Gu t …«
Aus dem Nichts erschien eine Frau. Sie musste hinter ihm gestanden haben. Alex erkannte Myra Bennett. Sie war groteskerweise wie eine
Weitere Kostenlose Bücher