Alex Rider 08: Crocodile Tears
Krankenschwester gekleidet. Auf ihrem Kopf saß eine gestärkte weiße Haube, aus ihrer Brusttasche baumelte eine Uhr. Der diagonale Pony wirkte streng, als hätte jemand die blonden Haare mit einem einzigen Schwertstreich abgeschnitten. Die Augen hinter den runden, goldgerahmten Brillengläsern flackerten. Alex’ Mund war trocken und ihm war schlecht, doch er hörte sich ein Schimpfwort murmeln.
»Fangen wir an«, sagte sie.
Die Männer krempelten seinen Ärmel auf und gaben ihm erneut eine Spritze. Alex zuckte zusammen, als die lange Nadel in das Fleisch unmittelbar über seinem Handgelenk stach. Diesmal zogen sie die Spritze allerdings nicht wieder heraus. Dr . Bennett machte sie mit einem Klebeband fest. Ein dünner Schlauch verband die Nadel mit einem Kunststoffkästchen von der Größe einer Zigarettenschachtel, das die Männer ebenfalls mit Klebeband an seinem Arm befestigten.
»Das Kästchen versorgt dich in den nächsten Stunden mit einem Mittel«, sagte Dr . Bennett. »Du wirst dich nicht bewegen und auch nicht sprechen können. Dazu kommen weitere Nebenwirkungen. Versuche ganz normal zu atmen.«
Alex spürte, wie die Übelkeit ihn zu überwältigen drohte. Er war seinen Peinigern hilflos ausgeliefert. Was immer sie mit ihm vorhatten, dieses Zimmer war bestimmt nicht die letzte Station.
Die Männer rollten den Ärmel wieder herunter und das Plastikkästchen verschwand darunter. Alex dachte an das Gift, das Tropfen für Tropfen in seinen Blutkreislauf gepumpt wurde. Er probierte den Arm zu heben, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Wieder murmelte er ein Schimpfwort, aber seine Stimme versagte und heraus kam nur ein undeutliches Brummen.
Dr . Bennett stellte sich vor ihn und drückte ihm eine Brille ins Gesicht. Alex wollte sie abschütteln, doch sie hing mit Hakenbügeln an seinen Ohren fest.
»Ihr könnt ihn jetzt rausbringen«, sagte sie.
Er saß in einem Rollstuhl! Alex merkte es erst, als einer der Männer ihn umdrehte und durch die Tür nach draußen schob. Sie bogen in einen langen Korridor ein.
»Moment noch!«, rief Dr . Bennett. Sie beugte sich über Alex, bis ihre Gesichter sich fast berührten. »Na, wie findest du dich?« Sie lächelte kalt.
Am Ende des Gangs war ein Spiegel angebracht, der vom Boden bis zur Decke reichte. Erschrocken und ungläubig starrte Alex sein Spiegelbild an. Seine Haare waren so miserabel geschnitten, dass er ganz erbärmlich schlecht und mindestens zwei Jahre älter aussah. Der Trainingsanzug hatte eine hässlich dunkelrote Farbe und war ihm eine Nummer zu groß und fleckig, als hätte er beim Essen gekleckert. Seine Haut war ungesund blass, die Brille auf seiner Nase ausnehmend scheußlich: ein schwarzes Plastikgestell mit dicken Gläsern, das ihm schief im Gesicht hing.
Das Betäubungsmittel lähmte seine Muskeln und veränderte auch die Körperhaltung und Mimik. Sein Mund stand offen, die Augen wirkten glasig. Er sollte offenbar wie die abstoßende Parodie eines schwerbehinderten, hirngeschädigten Menschen aussehe n … Schlimmer noch, man hatte ihm seine Würde genommen. In gewisser Weise war es eine geniale Verkleidung. Die Menschen auf der Straße würden ihn flüchtig ansehen, aber vor lauter Verlegenheit bestimmt kein zweites Mal hinschauen. Damit rechnete Dr . Bennett.
Auf ihr Zeichen hin wurde Alex zu einem Lift geschoben. Danach machte sich die Wirkung der neuen Droge bemerkbar, denn er nahm seine Umgebung nur noch bruchstückhaft wahr.
Er stand wieder auf der Straße und wurde in den Lieferwagen gehoben.
Er saß im Lieferwagen.
Er traf in Heathrow Airport ein! War er mit Sabina und ihren Eltern nicht am selben Terminal gewesen? Das Licht tat ihm in den Augen weh. Die Menschen warfen ihm, genau wie er befürchtet hatte, kurze Blicke zu und schlugen beschämt die Augen nieder. Er wollte um Hilfe rufen, doch nur ein kümmerliches, leises Stöhnen war zu hören, das eher abschreckend wirkte. Die anderen hatten keine Ahnung, was hier vor ihren Augen geschah. Nie im Leben wären sie auf die Idee gekommen, dass er gerade entführt wurde.
Passkontrolle. Man hatte Alex natürlich mit falschen Papieren ausgestattet. Der Beamte schien auch gar nicht so genau hinzusehen. Ein Junge im Rollstuhl in Begleitung einer Krankenschwester. Die beiden Männer waren zurückgeblieben.
»Jonathan fliegt so gern mit großen Flugzeugen. Nicht wahr, Jonathan?« Dr . Bennett sprach mit ihm wie mit einem Sechsjährigen.
»Ich heiße nich t …« Alex wollte dem Mann an
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