Alex Rider 9: Scorpia Rising (German Edition)
rund um die Uhr besetzt. Niemand konnte das Fort ohne Erlaubnis betreten oder verlassen. Die Flügeltür am Eingang ließ sich nur von innen öffnen und der Kontrollraum stand in ständiger Funkverbindung mit den patrouillierenden Wachen, Männern aus der Gegend, die nach Art der Beduinen Kopftücher, lose Gewänder und Sandalen trugen. In ihren Gürteln steckten Messer, über ihren Schultern hingen Maschinenpistolen.
Der Besitzer des Forts hieß Abdul-Aziz Al-Razim, doch er hatte sich einen anderen Namen zugelegt. Als international gesuchter Terrorist und Kriegsverbrecher hatte man am besten überhaupt keinen Namen. Für seine Freunde von Scorpia hieß er nur Razim. Sonst hatte er keine Freunde. Er war nicht verheiratet. Manchmal sprach er einen ganzen Monat lang mit niemandem. Aber das machte ihm nichts aus. Es war ihm sogar lieber.
Razim stammte nicht aus Ägypten. Er war vor fünfundvierzig Jahren in Tikrit im Irak zur Welt gekommen. Sein Vater war Universitätsprofessor gewesen, seine Mutter hatte in Cambridge arabische Literatur studiert und sich dann als Schriftstellerin und Dichterin einen Namen gemacht. Abdul-Aziz, auf Arabisch »Diener der Mächtigen«, war eins von zwei Kindern – er hatte eine größere Schwester namens Rima. Die Familie hatte in einem der ältesten Häuser der Stadt gewohnt, einem schmalen weißen Ziegelsteingebäude um einen Innenhof mit üppigen Blumen und einem plätschernden Brunnen in der Mitte.
Razim war von Anfang an ein schwieriges Kind gewesen. Er sei mitten in einem Sandsturm geboren worden, hatte sein Vater gescherzt, und ein Teil des Sandes sei offenbar in sein Blut gelangt. Als Baby lächelte er nie und gab auch keine glucksenden Laute von sich. Stattdessen lag er verdrossen in seinem Bettchen, als fragte er sich, was er überhaupt hier zu suchen hatte. Sobald er gehen gelernt hatte, wollte er weglaufen. Kindermädchen hielten es nicht lange mit ihm aus. Razims Wutausbrüche vertrieben drei von ihnen, die vierte ging mit einer Beinwunde, die durch eine Nagelschere verursacht worden war. Sie hatte ihn ausgeschimpft, weil er seine Schwester geärgert hatte.
Wenigstens war er ein guter Schüler. Seine Lehrer hielten ihn sogar für ein Genie. Er glänzte in allen Fächern und sprach mit zwölf drei Sprachen fließend. Kein Wunder, dass er mit den anderen Kindern nicht zurechtkam. Er hatte schon damals keine Freunde. Als wortkarger Einzelgänger gelangte er früh zu der Einsicht, dass er anders war als die anderen, auch wenn er nicht genau wusste worin. Mit der Zeit kam auch diese Erkenntnis. Er hatte keine Gefühle. Nichts machte ihm Angst oder beunruhigte ihn. Andererseits freute er sich auch über nichts. Es gab kein Essen, das er besonders gemocht hätte. Ihm war, als wäre das ganze Leben wie unter einem Mikroskop vor ihm ausgebreitet und als betrachtete er es mit der Brille des Wissenschaftlers. Jeder Tag war für ihn gleich. Er empfand absolut nichts.
Er beschloss, die Probe aufs Exempel zu machen. Seine Eltern hatten ihm als kleinem Jungen einen Hund gekauft, eine zottelige Promenadenmischung, der ihn überallhin begleitete. Eines Tages ging er mit ihm in den Obstgarten hinter dem Haus seiner Eltern und erwürgte ihn, nur weil er wissen wollte, wie sich das anfühlte. Es ließ ihn vollkommen gleichgültig.
Seine Eltern fragten zwar nach dem verschwundenen Hund und bemerkten auch die Kratzer auf Razims Händen und Armen, fanden sich aber mit seiner Erklärung ab, er habe sich an einem Stacheldrahtzaun verletzt. Die Eltern waren beide intelligente Menschen, aber welche Eltern wollen ihr Kind schon für ein Monster halten, und Razim war ja nach wie vor ein herausragender Schüler. Er aß mit ihnen und begleitete sie zum Gebet in die Moschee. Seine große Schwester mochte er nicht, war jedoch höflich zu ihr. Was konnte man mehr verlangen?
Im Jahr 1979 kam Saddam Hussein an die Macht, was einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Iraks zur Folge hatte. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten war, achtundsechzig Mitglieder seiner Partei zu verhaften und des Hochverrats anzuklagen. Zweiundzwanzig wurden hingerichtet, die anderen sechsundvierzig gezwungen, die Hinrichtung zu vollziehen. Als Razim das hörte, begriff er, dass sein Land jetzt von einem Mann regiert wurde, der ähnlich veranlagt war wie er. Er überlegte, wie er ihn kennenlernen konnte.
Durch einen Zufall ergab sich schon bald eine Gelegenheit. Viele Menschen im Irak hatten erkannt, dass Saddam
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