Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
gehabt, und jetzt hat die Edelgard alles geerbt. Wir haben überhaupt nicht damit gerechnet. Keine Sekunde haben wir mit so was gerechnet. Ein Sparbuch hat die Tante auch noch gehabt. Mit hundertfünfzigtausend drauf. Das haben wir aber erst gefunden, wie wir das Haus ausgeräumt haben. Das Haus haben wir dann verkauft. Und das hat dann auch noch mal fast eine Viertelmillion gebracht, und wir haben überhaupt nicht gewusst, wohin mit dem vielen Geld. Zwanzig Jahre haben wir jedes Monatsende die Pfennige gezählt, und auf einmal sind wir reich gewesen, richtig reich. Wahrscheinlich hat sie das Sparbuch ganz vergessen gehabt, die Tante. Die letzte Eintragung ist siebzehn Jahre alt gewesen, und die Briefe von der Bank hat sie ja schon lange nicht mehr aufgemacht. Wir haben uns das schöne Haus hier gekauft und neue Möbel und ein neues Auto, und dann ist immer noch fast eine Dreiviertelmillion übrig gewesen. Und die hab ich dann angelegt. Man muss doch irgendwas machen mit dem Geld. Ein Sparbuch, das bringt doch heutzutage nichts mehr.«
In einer Ecke stand ein großer Vogelkäfig auf einem gedrechselten Tischchen. Darüber war sorgfältig ein grell gemustertes Tuch gebreitet.
»Wie sind Sie an Schiller geraten? Warum sind Sie nicht einfach zu Ihrer Bank gegangen?«
»Diese Banken, das sind doch alles Verbrecher. Die bescheißen einen doch vorne und hinten. Ein Nachbar hat mir von dem Schiller erzählt, von diesem elenden Drecksack. Erst hab ich nur hunderttausend angelegt. Aber wie dann die ersten Zinsen gekommen sind, da hab ich auf zweihundertfuffzig erhöht, und später hab ich ihm alles gegeben, was wir lockermachen konnten. Er hat mir dann auch den Tipp mit der Hypothek gegeben.«
Die Vögel im Käfig piepten schlaftrunken.
»Was für eine Hypothek?«
»Eine Hypothek aufs Haus. Zu drei Prozent, und der Schiller hat mir acht Prozent Zinsen für das Geld gegeben. Am Ende sind es Jahr für Jahr zwischen sechzig-und achtzigtausend gewesen. Einfach so, fürs Nichtstun. Der Schiller hat mir den Tipp mit der Hypothek gegeben, die Drecksau. Machen angeblich alle so, und am Anfang hat’s ja auch super funktioniert.«
»Und irgendwann war das Geld dann plötzlich weg.«
Langhoff nickte schwer. »Im Sommer. Auf einmal haben wir nichts mehr gehabt. Weniger als nichts, weil da ja noch die Hypothek war. Die Edelgard ist fast verrückt geworden. Und wie uns dann vor ein paar Wochen die Bank aufs Dach steigt und das Haus versteigern will, da … da ist sie gestorben.«
»Hat sie sich …?«
Müde schüttelte der Straßenbahnfahrer den runden Kopf. »Sie ist einfach gestorben. Am Abend haben wir noch zusammen einen Krimi geguckt, die Edelgard hat immer so gern Krimis geguckt, und wenn sie den Mörder richtig geraten hat, dann ist sie immer ganz stolz gewesen. Wir haben getrennte Schlafzimmer, schon lange, weil ich doch so schnarche, und am nächsten Morgen ist sie tot gewesen. Ist doch klar wie Kloßbrühe, dass sie an Verzweiflung gestorben ist, oder nicht?«
»Und da sind Sie auf die Idee gekommen, Schiller zu erschießen?«
»Alles ist kaputt gewesen. Den schönen BMW hab ich auch verkaufen müssen. Der BMW ist mein Traum gewesen. Alle Extras hat er gehabt. Nie hab ich gedacht, dass ich mir so einen mal leisten könnte. Und jetzt ist er weg, und in sechs Wochen muss ich raus hier, und das Haus wird versteigert, und dann hab ich immer noch einen Haufen Schulden. Wo soll ich denn hin, frag ich Sie? Und wie soll ich das jemals abzahlen von meinem bisschen Gehalt, können Sie mir das sagen? Im Knast muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, was ich morgen esse und von was ich meine Heizölrechnung zahle. Aber der Schiller, der soll keine Freude haben an meinem Geld. Wenn’s mir dreckig geht, dann soll’s dem auch dreckig gehen. Er hat ja irgendwie auch meine Edelgard ermordet, oder nicht?«
»Es ist ja kein Mord«, sagte ich begütigend. Der Schuss auf Runkel würde vor jedem Gericht als Totschlag durchgehen.
»Für mich schon«, beharrte Langhoff. »Die Edelgard ist tot, und wenn dieser Schiller nicht so eine Drecksau wär, dann würd sie noch leben. Und das nenn ich Mord, Entschuldigung. Das mit Ihrem Kollegen tut mir leid. Ehrlich. Der ist mir in die Quere gekommen, ich hab überhaupt nicht gewusst, was der von mir will, und wir haben gerauft, und dann hat’s auf einmal geknallt, und er ist umgefallen. Das wollt ich nicht. Das tut mir leid. Ehrlich.«
»Es war kein Mord, sondern schlimmstenfalls versuchter
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