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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Krauss traurig.
    Alle Spuren, die wir verfolgten, hatten ins Nichts oder in eine Katastrophe geführt. Und Krauss hatte recht, warum sollten nicht noch andere Männer als Schiller, Gröwer und Henning auf Leas Teenagercharme hereingefallen sein?
    »Henning«, seufzte ich und rieb mir die brennenden Augen. »Wenn der Junge nur endlich aufwachen würde.«
    Balke knispelte an seinen Fingernägeln. Vangelis studierte alte Notizen. Krauss sah zur Decke und kaute nachdenklich auf der Unterlippe.
    »Glauben Sie eigentlich, dass das Mädchen noch am Leben ist?«, fragte sie schließlich.
    »Ich hoffe es«, erwiderte ich und fühlte mich unendlich müde und nutzlos dabei. »Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll.«
    Als ich wieder allein war, begann ich das Material durchzusehen, das meine Mitarbeiter auf Schillers PCs sichergestellt hatten und außerdem auf seinen Handys, von denen er gleich drei Stück parallel betrieben hatte. Eines für Privates, eines für die Firma und eines für Vorzugskunden wie einen gewissen Dr. Kleinschmidt.
    Die Steuerfahndung hätte ihre Freude an den gespeicherten Kontakten gehabt. Aber leider war es mir verboten, die Nummern ans Finanzamt weiterzuleiten. Ich verspürte große Lust, Balkes private Kanäle zu nutzen, um für ein klein wenig mehr Steuergerechtigkeit in unserem Land zu sorgen. Ich hätte Balke das Handy überlassen können, in der Hoffnung, dass er von allein auf die richtige Idee kam. Aber schließlich ließ ich die Finger davon. Mein Bedarf an Ärger war für dieses Jahr gedeckt.
    Leas Nummer tauchte in Schillers Privathandy auf. Kurznachrichten schien er nach dem Lesen oder Senden immer sofort gelöscht zu haben. Das, was mich interessierte, fand ich schließlich unter Schillers E-Mails. Auf seinem edeldünnen Laptop, den ein angebissener Apfel zierte, waren knapp hundertfünfzig E-Mails von ihr gespeichert und säuberlich archiviert. Einige davon las ich. Nie ging es um Liebe oder auch nur Gefühle, in keiner einzigen Zeile. Es ging ausschließlich um Sex und Geilheit, Gier nach Leben und aufregenden Erfahrungen. Außerdem meinte ich eine Menge Einsamkeit und Traurigkeit zwischen den Zeilen von Leas E-Mails zu lesen. Oft waren Handyfotos angehängt, auf die im Text Bezug genommen wurde und deren Anblick ich mir ersparte. An manchen Tagen waren zehn, zwanzig E-Mails hin und her gegangen, an anderen keine einzige.
    Im Laufe dieses trübsinnigen Vormittags gab es auch gute Nachrichten. Die französischen Kollegen hatten das fünfte Opfer des Frauenmörders lebend gefunden. In einem seit Jahren leer stehenden Bauernhäuschen in einem einsamen Tal der Vogesen. Die Frau, eine aus Südfrankreich stammende Gelegenheitsprostituierte, war halb erfroren gewesen, völlig verängstigt, aber lebendig. Der Täter hatte seit seiner Verhaftung bis heute kein einziges Wort gesprochen.
    Außerdem war Rolf Runkel endlich wieder bei Bewusstsein und so weit bei Kräften, dass die Ärzte ein kurzes Gespräch erlaubten. So beschloss ich, endlich hinter mich zu bringen, wovor mir schon seit gestern grauste: einige Worte zu ihm zu sagen und ihn um Verzeihung zu bitten.
    Runkels Gesicht war käsig-blass und erschreckend schmal geworden. Die trüben Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Tag, Chef«, krächzte er und hustete. »Das ist aber nett …«
    Ich stopfte die Blumen, die ich mitgebracht hatte, in eine kalkverkrustete spinatgrüne Vase, die ich neben dem Waschbecken fand, füllte Wasser ein und stellte das Arrangement auf den hohen Nachttisch neben Runkels Kopf. Dann sagte ich das Dümmste, was ich in dieser Situation hätte sagen können: »Na, Sie machen vielleicht Sachen.«
    Er nickte reumütig.
    »Aber jetzt sind Sie ja Gott sei Dank über den Berg. Ich meine …« Betreten sah ich zum Fenster. »Das mit Ihrem Kopf, das habe ich nicht gewusst … Es tut mir so leid. Sie hätten ja auch mal was sagen können …«
    »Sie haben doch immer so viel Stress, Chef.« Runkels Atem ging rasselnd. Er sprach stockend, immer wieder von einem trockenen Husten unterbrochen. »Ich wollt auch nicht, dass es jeder weiß. Ich …« Erschöpft schloss er die Augen. »Ich hab mich ein bisschen … geschämt.«
    Vermutlich hätte ich mich in seiner Situation nicht anders verhalten. Vermutlich hätten die meisten sich so verhalten.
    Ich ergriff seine kalte, kraftlose Hand und drückte sie vorsichtig.
    »Die Ärzte sagen, es wird alles gut werden«, behauptete ich. »Sie sagen, der Eingriff ist nicht besonders

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