Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Kollege schluckte. Sah auf den Tisch. »Ach so, ja.« Er schluckte noch einmal und wünschte sich vermutlich, er wäre nicht zu mir gekommen. »Langhoff«, murmelte er endlich. »Vorname Ludwig. Ich hoff ja so, dass er nichts damit zu tun hat. Aber man muss … man muss doch seine Pflicht tun.«
Langhoff. Hatte ich den Namen nicht erst kürzlich gehört? Genau: am Vormittag.
»Kann es sein, dass Ihr Freund Straßenbahnfahrer ist?«
Der Kollege sah mich flehend an. »Er erfährt aber nichts davon, dass ich mit Ihnen geredet hab, ja? Wir sind … wir waren so gute Kumpels. Jahrelang haben wir jede Woche zusammen gekickt. Und … ich … ich fühl mich so scheiße, ehrlich gesagt. So scheiße fühl ich mich.«
Ich notierte mir Langhoffs Adresse in Nußloch und drückte die Direktwahltaste zu Klara Vangelis.
Ludwig Langhoff öffnete seine Tür so rasch, als hätte er uns mit der Hand auf der Klinke erwartet. Sein rundes Gesicht war grau und eingefallen.
Das weiße Mountainbike stand ordentlich verschlossen neben der Eingangstür des hübschen, mittelgroßen Einfamilienhauses in einer Straße, die auf beiden Seiten von hübschen, mittelgroßen Häusern gesäumt war.
Der Straßenbahnfahrer begrüßte uns mit einem stummen Nicken. Wortlos traten wir ein. Er ging vor uns her ins Wohn-und Esszimmer seines erdrückend liebevoll eingerichteten Heims. Im Flur prangte eine viel zu große schmiedeeiserne Garderobe an der Wand, an der nur eine einsame Uniformjacke baumelte. Darunter ein Durcheinander von übergroßen Männerschuhen. Daneben ein abgegriffener Wanderstock, der mit zahllosen Plaketten verziert war.
Wir setzten uns an den Esstisch, den eine bunte Plastiktischdecke zierte. Es roch, als wäre kürzlich etwas angebrannt. Bei diesem Stichwort fiel mir mein gerade noch gerettetes Kartoffelgratin ein und als Nächstes Theresa. Theresa, die sich zurzeit zusammen mit ihrem Gatten auf einer angenehmen Erste-Klasse-Reise in die Schweiz befand, um dort einige Tage über den Wolken auszuspannen. Eine Vorstellung, die mir aus irgendeinem Grund nicht angenehm war. Aus einem Grund, über den nachzudenken mir jetzt die Zeit fehlte. Jetzt ging es darum, einen Beinahemörder zu überführen.
Langhoff saß mir mit hängendem Kopf gegenüber. Inzwischen war es Viertel nach acht und schon seit Stunden dunkel.
»Sie wissen, warum wir hier sind?«, begann ich ruppiger, als ich eigentlich beabsichtigt hatte.
Er trug dasselbe karierte Hemd wie am Vormittag und roch nach altem Schweiß. Erst nach langem Zögern nickte er.
»Es tut mir leid.«
»Warum wollten Sie Schiller erschießen?«
»Die Edelgard«, erwiderte er so langsam, als stünde er unter Drogen. »Er hat alles kaputt gemacht.«
»Schiller?«
Keine Reaktion.
»Sie haben Geld bei ihm angelegt?«
Nicken.
»Viel?«
»Anfangs hat er supergute Zinsen gezahlt. Viel mehr wie die Bank. Klar hat es ein bisschen geschwankt. Im einen Jahr sind’s acht Prozent gewesen, im anderen zehn, einmal sogar zwölf. So ganz verstanden hab ich nicht, was er mit unserem Geld gemacht hat. Mit dem Geld von der Edelgard.«
Auf dem Tisch stand eine blaue Keramikvase mit künstlichen Tulpen. An der Wand hinter Langhoffs großem Kopf hing eine bunte italienische Küstenlandschaft – echt handgemalt und aus dem Kaufhaus.
»Ihre Frau hat geerbt?«, fragte ich.
Und wieder nickte der Straßenbahnfahrer. »Die Edelgard hat eine Tante gehabt. Die Tante Jutta. Eine Schwester von ihrer Mutter. Die hat sie jahrelang gepflegt, die Edelgard. Sie hat nur ein paar Häuser weiter gewohnt, und sie hat ja sonst niemanden gehabt. Die Edelgard hat das nicht gern gemacht, ganz und gar nicht, aber sie hat’s halt in Gottes Namen gemacht. Sonst ist ja keiner da gewesen. Sie hat viel aushalten müssen. Die Tante ist mit den Jahren immer böser geworden. Wie die alten Leute halt oft sind. Und wie sie dann endlich gestorben ist, da stellt sich raus, dass ihr nicht nur das Haus gehört hat, sondern auch noch über eine Million in Aktien. In guten Aktien.«
Langhoff schnaufte einige Male, als wäre ihm beim Sprechen die Luft knapp geworden. Oder als müsste er für das Folgende Anlauf nehmen.
»Der Mann von der Tante Jutta war reich gewesen, haben wir später rausgefunden. Er hat von einem großen Bauernhof gestammt, irgendwo bei Worms, und sie haben Grundstücke verkaufen können, wie die Eltern gestorben sind. Bauland. Aber der Mann von der Tante Jutta ist schon lang tot gewesen, und Kinder haben sie keine
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