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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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angekommen waren. Vielleicht hatte auch nur der Dicke aus dem Erdgeschoss angerufen. Die Professorin mochte um die vierzig Jahre alt sein und war nicht gerade eine Schönheit. Aber sie war doch eine aparte und für ihr makabres Metier ungewöhnlich sympathische Erscheinung mit ebenmäßigem Gesicht und schön geschwungenem Mund. Den weißen Arztkittel trug sie offen. Darunter war ein lindgrüner Kaschmirpullover zu sehen, über dem eine bunte und farblich passende Kette baumelte. Ohne die halbhohen Schuhe maß sie vermutlich gerade mal eins sechzig. Das lockige und schon von vereinzelten grauen Strähnchen durchzogene Haar trug sie offen.
    Madame Cabrel hatte einen Händedruck, als spielte sie oft und gerne Tennis. Schweigend gingen wir den Gang entlang. Die Kälte schien immer noch zuzunehmen. Die Absätze der Professorin tackerten. Eine graue Stahltür öffnete sich seufzend, Neonlicht flackerte auf. Hallende Schritte, Würgen im Hals. Plötzlich fühlte ich mich, als wäre ich Leas Vater und Lassalle mein Begleiter. Seine Miene war versteinert. Seit unserer Abfahrt in Heidelberg hatten wir kaum ein Wort gewechselt.
    Die letzte Tür.
    »Voilà«, sagte Madame Cabrel und öffnete eine der etwa dreißig kleinen Edelstahltüren, die sich an der Längswand reihten. Ein Schwall Eiseskälte strömte uns entgegen und ein säuerlicher Geruch. Mit beherztem Schwung und tröstlichem Lächeln in meine Richtung zog sie die stählern blitzende Bahre heraus, auf der sich ein menschlicher Körper unter weißem Tuch abzeichnete.
    »Isch muss Sie warnen«, sagte sie in nicht ganz akzentfreiem Deutsch zu mir. »Leider sieht sie nischt sehr übsch aus.«
    Ich schüttelte den Kopf und deutete auf Lassalle, der mit verbissener Miene neben mir stand. Die Professorin warf das Tuch so weit zurück, dass das tote Mädchen bis zum Bauchnabel entblößt wurde. Das zerstörte Gesicht war gnädigerweise durch ein eigenes kleines Tuch verdeckt. Ich mochte dennoch nicht hinsehen und beobachtete stattdessen Lassalle. Seine Augen wurden groß und gleich darauf wieder klein. Er schluckte und schluckte, die Augen traten hervor. Dann stürzte er davon, stieß irgendwo an, versuchte erst, die Tür in die falsche Richtung zu öffnen. Augenblicke später hörte ich, wie er sich draußen erbrach, und hoffte, dass er es bis zum Waschbecken geschafft hatte.
    Die Professorin sah mich betreten an.
    »Wie ist sie gestorben?«, fragte ich mit belegter Stimme. »Hat sie sehr gelitten?«
    Sie schlug die Augen nieder. »Er hat sie mehrfach vergewaltigt. Am Ende hat er sie stranguliert, vermutlich während er …«
    Nun konnte auch sie nicht mehr.
    »Lassen Sie uns hinausgehen«, sagte sie leise. »Wir wollen sehen, wie es dem armen Vater geht.«
    Dem Vater ging es den Umständen entsprechend. Er war so weiß wie die geflieste Wand, vor der er stand und sich mit einem grauen Papiertuch das Gesicht abwischte.
    »Mein herzlisches Beileid«, sagte die Professorin zu ihm und lächelte unentwegt ihr warmes Lächeln.
    »Was?« Lassalles Blick wurde schon wieder panisch.
    Die Ärztin trat einen Schritt zurück und sah ihm aufmerksam ins Gesicht. »Es … sie ist nischt Ihre Tochter?«
    Er schüttelte entsetzt den Kopf.
    »Sind Sie sischer?«, fragte sie eindringlich. »Haben Sie rischtig hingesehen?«
    »Lecken Sie mich am Arsch«, erwiderte Lassalle und wandte sich zum Gehen. »Ich warte draußen.«
    »Der arme Mann«, sagte die Ärztin nachsichtig. »Er will es nicht glauben.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher.« Ich zückte mein Handy. Zum Glück hatte es in diesem Eiskeller Empfang. Sarah nahm nach dem dritten Tuten ab, obwohl sie eigentlich im Unterricht sitzen sollte. Wieder mal eine Freistunde. Offenbar war der Mathelehrer immer noch krank.
    »Ich muss überlegen«, sagte sie, nachdem sie sich mein Anliegen angehört hatte. »Du meinst am Bauch oder am Rücken?«
    »Egal.«
    »Warum willst du das eigentlich wissen?«
    »Erzähle ich dir später.«
    »Ich frage mal rum«, versprach Sarah merklich verwirrt. »Ich ruf dich wieder an, okay?«
    Die folgenden fünfzehn Minuten waren vielleicht die längsten meines Lebens. Die Professorin versuchte tapfer, sich mit mir über Heidelberg zu unterhalten, erzählte, dass sie dort schon hin und wieder auf Tagungen gewesen sei, allerdings nie mit Übernachtung, wegen der kurzen Entfernung. Sie hatte vier Kinder, die versorgt werden wollten, und mit den Kindermädchen heutzutage …
    Mir war lausig kalt. Und immer noch war mir

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