Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
ansehen sollten.«
»Lea?«
»Vielleicht. Es sind zwei kurze Filmausschnitte aus den Fernsehnachrichten.«
»Hole meinen Laptop«, murmelte er und schlurfte mit hängenden Schultern davon.
Zwei Minuten später saßen wir in Lassalles säuerlich riechender Küche und starrten auf seinen Monitor. Das Telefon im Flur gab keine Ruhe. Die Pausen zwischen den Anrufen waren immer nur wenige Sekunden lang. Lassalle schien das Gedudel längst nicht mehr zu hören, brummelte Unverständliches vor sich hin, schüttelte den Kopf, klickte den zweiten Film an, schüttelte erneut den Kopf.
»Sie bewegt sich anders als Lea. Sie ist älter. Und sie ist vorne herum …« Unsicher sah er mich an. »Lea ist flacher. Außerdem trägt die hier die Haare kürzer. Der Typ, ist das dieser Politiker?«
Ich nickte. Er zog den Stick ab und reichte ihn mir. Wir erhoben uns.
Während der Herfahrt hatte ich überlegt, ob ich ihm auch die Videos zeigen sollte, die wir auf Leas Laptop gefunden hatten. Aber ich hatte mich dagegen entschieden. Er würde den Mann mit Sicherheit nicht erkennen, der sich mit seiner Tochter vergnügte. Im Flur begann schon wieder das Telefon zu trillern. Lassalle begleitete mich zur Tür und riss im Vorbeigehen das Kabel aus der Wand.
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf«, sagte ich zum Abschied. »Packen Sie ein paar Sachen zusammen, und sehen Sie, dass Sie hier wegkommen. In spätestens ein, zwei Stunden wird es vor Ihrem Haus von Übertragungswagen wimmeln, und Sie werden keine ruhige Minute mehr haben.«
Als ich wieder im Wagen saß, entdeckte ich eine SMS von Theresa auf meinem Handy. »Das Buch ist da!!!«, las ich. »Bis heute Abend! Freu mich auf den Sekt!!! Und auf dich!«
»Ich sehe nur eine Chance«, sagte ich beim Mittagessen zu Balke. »Wir müssen wissen, ob Gröwer auf diesen Filmchen zu sehen ist. Und solange ich auch nachdenke, mir fällt nur ein Mensch ein, der mir diese Frage beantworten kann.«
»Also doch seine Frau?« Balke schien die Vorstellung lustig zu finden. »Sie wird Sie hassen dafür.«
Zurück am Schreibtisch, bat ich Sönnchen, eine Verbindung nach Düsseldorf herzustellen. Es dauerte ein Weilchen, bis sie die Gesuchte auf dem Gestüt siebzig Kilometer nördlich von Düsseldorf aufgestöbert hatte, wo sie ihre Pferde stehen hatte.
»Ja?«, war das erste, atemlose Wort, das ich aus Verena Gröwers Mund hörte.
»Spreche ich mit Frau Gröwer? Der Frau des verstorbenen Politikers?«
»Voss ist mein Name. Den Namen des verstorbenen Politikers möchte ich nicht mehr hören. Ansonsten sind Sie bei mir richtig, ja. Sie sind die Polizei?«
Ich bat um Entschuldigung dafür, dass ich sie so kurz nach dem Tod ihres Mannes belästigte, woraufhin sie bitter, aber nicht traurig lachte.
»Es geht darum, Ihren Mann auf einem Video zu identifizieren.«
»Schicken Sie das Material an mein Sekretariat. Die leiten das dann umgehend an mich weiter.«
»Ich würde es Ihnen aus bestimmten Gründen lieber persönlich zeigen. Zur Not fahre ich auch nach Düsseldorf.«
Im Hintergrund wieherte ein Pferd, als hätte es sich erschreckt. Hufe klapperten über harten Boden.
»Darf man erfahren, was diese bestimmten Gründe sind?«
»Besser nicht am Telefon.«
»Klingt ja spannend.« Wieder lachte sie. »Ich muss ohnehin nach Heidelberg, Carstens Sachen durchsehen. Aus bestimmten Gründen will ich das möglichst rasch hinter mich bringen. Denken Sie von mir, was Sie wollen, aber ich lege Wert darauf, das Kapitel Gröwer zügig aus meinem Leben zu tilgen.«
»Wann werden Sie hier sein?«
»Geht es um dieses … Mädchen?«
»Ja.«
»Heute haben wir Dienstag«, überlegte Verena Voss. »Passt es Ihnen morgen am späten Vormittag? Ich muss in der Frühe nach den Pferden sehen und würde mich anschließend gleich auf den Weg nach Süden machen.«
Am Mittwochmorgen betrat ich ausgeschlafen und voller Tatendrang mein Vorzimmer. Sönnchen sah mir ratlos entgegen, und ich befürchtete schon die nächste Katastrophe. Aber heute war das Problem harmlos.
»Wir haben kein Internet«, sagte sie. »Im ganzen Haus nicht.«
»Ist die Servicefirma alarmiert?«
»Die sind unterwegs. Bis die da sind, versuchen der Herr Balke und der Kollege Höger von der Sitte ihr Bestes. Bis jetzt können sie aber noch nicht sagen, was los ist.«
»Ja, dann.« Entspannt hängte ich meinen Mantel an die Garderobe. »Kein Internet – keine E-Mails. Hat ja auch sein Gutes.«
In der Nacht hatte die Kellertürenbande wieder
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