Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Klingklang des Windspiels aus Bambusrohr vor der Eingangstür des Zentrums für Fengshui, Energiearbeit und Astrologie namens
Balance,
dessen Klingel sie nun drückte.
»Stietencron, Kripo. Danke, dass Sie Zeit für mich haben.« Sie zeigte ihren Ausweis vor, als sich die Tür öffnete und sich eine verunsichert wirkende Frau um die fünfzig als Xenia Chen vorstellte und Alex hereinbat. Ihre blondierten Haare wallten bis zur Hüfte über das weitgeschnittene braune Kleid, das an den Spaghettiträgern mit Holzperlen verziert war, die Xenia Chen auch als Kette um den Hals trug. Trotz des Namens machte die Frau nicht den Eindruck, als sei sie asiatischer Herkunft. Sie musste einen Asiaten geheiratet haben, vermutlich einen Koreaner, von denen viele zum Studieren an die Musikakademie Lemfeld kamen und gelegentlich als Dozenten, Lehrer oder Orchestermusiker blieben.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte Xenia Chen, nachdem sie Alex in einen großen Raum des Altbaus geführt hatte, der augenscheinlich für Sitzungen oder Besprechungen genutzt wurde. In den Ecken standen große Bambusstauden, an den Wänden hingen Drucke von antiken Buddha-Bildern sowie einige Mandalas. Auf einer Kommode thronte die aus Metall gefertigte Figur einer indischen Gottheit. Es roch nach Duftöl, und durch die Nesselvorhänge warf die Sonne ein zartes Licht auf den Holzfußboden. Alex ließ sich in ein weiches Sofa sinken und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Gerne, ein Wasser wäre nicht schlecht«, sagte sie und schaute sich in dem Raum um, während Xenia Chen aus einer mit Quarzen gefüllten Karaffe, die vermutlich zur energetischen oder mineralischen Anreicherung diente, Wasser in ein Glas goss. Dann hockte sich Xenia Chen auf einen Sitzsack.
»Ich muss schon sagen, dass ich etwas irritiert bin, Frau … Entschuldigung, ich habe mir Ihren Namen nicht gemerkt.«
»Stietencron«, ergänzte Alex. »Und es tut mir leid, dass ich Sie einfach so überfalle. Ich ermittle in einem Fall, zu dem ich einige Informationen benötige. Ich habe gehofft, Sie könnten mir mit einigen Auskünften behilflich sein.«
»Aha. Ich hatte schon befürchtet, meinem Mann sei etwas geschehen.«
»Entschuldigung, falls ich Ihnen einen Schreck eingejagt habe. Das wollte ich nicht.«
»Und mit welchen Informationen kann ich Ihnen behilflich sein? Ich habe wirklich keine Idee …«
Alex stellte das Glas auf den Tisch, während Xenia Chen sich durch die Löwenmähne fuhr, wobei die Holzperlen an ihrem Armband leise klapperten.
»Drache, Ratte, Büffel – das sind Symbole aus dem chinesischen Tierkreis, richtig?«, fragte Alex und lehnte sich wieder zurück. In diesem Sofa konnte man versinken.
Xenia Chen nickte. »Ja, das sind sie.« Ihr Blick wurde besorgt, und sie beugte sich vor. »Hat Ihre, nun, Recherche, irgendetwas mit diesen entsetzlichen Morden zu tun?«
»Tut mir leid, darüber kann ich nicht sprechen«, antwortete Alex und verschränkte die Arme. »Es geht mir lediglich um einige Informationen über Astrologie, und ich bin da sicher keine Fachfrau, vielmehr, nun … Als Psychologin habe ich, ohne Sie verletzen zu wollen, eine gewisse Sichtweise darauf. Ich halte nicht viel davon.«
»Psychologin?«
»Ja, Kriminalpsychologin.«
»Ah«, nickte Xenia Chen. »Sie glauben nicht an die Sterne?« Sie strich sich eine Strähne hinter das Ohr, stand auf und ging zu einem Buchregal, wo sie mit dem Zeigefinger suchend über die dort aufgereihten Bücher und Bildbände fuhr.
»Es spielt keine Rolle, woran ich glaube.« Alex streckte den Rücken durch. Mit einem Seitenblick hatte Xenia Chen Alex’ Regung wahrgenommen und sagte: »Reiki oder Qigong könnte Ihnen helfen.«
»Was?« Alex griff sich mit einer Hand in den Nacken. Langsam, aber stetig breitete sich von dort ein Druck über den Hinterkopf aus, der sich in Kürze zu einem beachtlichen Kopfschmerz ausweiten würde. Musste an diesem drückenden Wetter liegen. Oder daran, dass sie gestern wieder nicht joggen war.
»Gegen Ihre Verspannungen. Sie sind sehr gestresst, Frau Stietencron.« Xenia Chen zog einen großen Bildband aus dem Regal und kam zurück zum Tisch. Gestresst – ja sicher war sie gestresst. Und ob sie gestresst war. Sogar rekordgestresst. Aber das tat nichts zur Sache.
»Mhm«, bestätigte Alex. »Vielleicht mache ich später mal einen Termin bei Ihnen.«
»Gerne«, antwortete Xenia Chen, an deren Blick Alex erkannte, dass sie nicht daran glaubte.
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