Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Mafiosi unter ihnen sind als …«
»Wie hieß das Restaurant?« Alex hatte gerade zu einem Schluck Espresso angesetzt, hielt aber in der Bewegung inne.
»
Goldener Drache,
aber ich gerate ins Schwafeln, ich muss in die Küche, wo ich hingehöre«, sagte Angelo, räumte den leeren Teller ab und verschwand wieder.
Goldener Drache. Ratten grillen.
Alex verharrte immer noch mit dem Espresso vor den Lippen.
Seppuku. Samurai. Drache. Ratte. Büffel. Luft. Erde.
Vor ihrem geistigen Auge formten die Begriffe ein Mosaik aus Puzzlesteinen, die sich langsam aufeinander zubewegten und einzurasten schienen.
Goldener Drache. Purpurner Drache. Das Jahr des Drachen.
Nun trank sie langsam einen Schluck Espresso. Die Crema verteilte sich auf der Zunge, der bittere Saft rann ihre Kehle hinab, schien sich unmittelbar in ihrem Blutkreislauf zu verteilen und in die Nervenbahnen zu fließen, um sich im Gehirn in einem einzigen Punkt zu verdichten, in den Synapsen zu explodieren.
Drache. Ratte. Büffel. Tiere. China.
Laut klappernd stellte sie die Espressotasse auf den Tisch, griff hektisch in ihre Handtasche und suchte ihr Handy. Nachdem sie es gefunden hatte, wählte sie Helens Nummer.
»Sekunde, ich fahre gerade rechts ran.«
»Helen, ich muss dringend …«
»Seeeekuuunde!«, ächzte Helen. »So. Ich telefoniere nicht beim Fahren, wie du weißt, ganz im Gegensatz zu manchen Kriminalpsychologinnen.«
Alex wippte nervös auf dem Stuhl und trank den Rest Espresso aus, bis Helen sich gesammelt hatte.
»Schieß los, Alex, soll ich vorbeikommen, deinen Killer jagen? Ist ja unfassbar, was da bei euch abgeht. Und …«
»Helen, ich …«, hob Alex beschwichtigend die Hand, obwohl ihre Freundin sie natürlich nicht sehen konnte.
»Und alles in so kurzer Zeit, das muss ja drunter und drüber gehen …«
»Helen, bitte!«
»Okay, bin schon ruhig.«
»Helen, du kennst dich doch ein wenig mit Astrologie aus.«
»Yep.«
Ein wenig war untertrieben. Helen las alles Mögliche über Astrologie und jedes Horoskop, das ihr in die Finger kam. Außerdem sah sie sich ständig diese unsäglichen Fernsehsendungen an, in denen die Anrufer sich die Karten legen lassen konnten. Sie war auch verschiedene Male zu einer Handleserin gegangen und hatte begeistert davon berichtet. Zuletzt war sie vor drei Monaten da gewesen, weil es in ihrer Ehe nicht mehr richtig lief und Helen eine Antwort darauf wollte, ob ihre Beziehung, aus der eine reizende Tochter hervorgegangen war, noch eine Zukunft hatte. Davon, dass Alex es für Humbug und Autosuggestion hielt, ließ Helen sich nicht beirren. Und Alex hatte für sich beschlossen: Wenn das Placebo wirkte, dann wirkte es eben.
»Drache, Ratte und Büffel – sind das Tiere, die im chinesischen Horoskop eine Rolle spielen?«
»Ja, sicher«, sagte Helen wie aus der Pistole geschossen, »aber nicht im Horoskop im westlichen Sinne, sondern im Tierkreis. Der ist etwas anders aufgebaut als unserer. Es gibt Affen, Hasen, Drachen, Schweine und so weiter als Tiersymbole. Ich hab mir mal ausgerechnet, in welchem Jahr ich geboren wurde, hab’s aber wieder vergessen.«
»Mhm.«
»Willst du jetzt doch in die Sterne schauen, Kleines, ist es so schlimm?«
»Nein. Aber vielleicht hat es etwas … Ich weiß noch nicht. Danke, Helen.«
»Wie, war’s das schon?«
»Ja.«
»Und sonst, alles klar?«
»Nein, gar nichts, alles scheiße.«
»Ah.«
»Du, ich muss los, danke.«
Damit drückte Alex Helen weg, warf das Handy in die Tasche und lief zu ihrem Mini. Auf halbem Weg blieb sie stehen, zischte »Shit«, fummelte ihre Geldbörse raus, lief zum Tisch zurück und warf einen Zwanzigeuroschein auf die Zahnstocher, bevor sie mit quietschen Reifen auf die Hauptstraße bog.
[home]
30 .
D as Gebäude lag in einer Nebenstraße unweit von Alex’ Wohnung, die Werbeschilder waren ihr beim Joggen aufgefallen. Reiki, Kinesiologie, Yoga, Fengshui, Qigong – die Begriffe waren haften geblieben. Über die Auskunft hatte sich Alex die Nummer geben lassen und von unterwegs aus angerufen. Nun hastete sie Stufen aus Eichenholz im Treppenhaus der Stadtvilla aus der Gründerzeit hinauf ins zweite Geschoss. Sie hatte keinen Blick für die verzierten Bleiglasfenster übrig, die Wappen von Freimaurerlogen und historische Stadtansichten von Lemfeld zeigten. Sie hatte keine Zeit, den Orangenduft wahrzunehmen, der ihr im ersten Stock durch die Türritzen des Yogastudios
Spirit
entgegenschlug, und sie hörte nicht das sanfte
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