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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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betrübliche Mitteilung, daß man zwar dankend die Kleidungsstücke erhalten habe, jedoch die Breviere schmerzlich vermisse.
    Die gewissenhafte Miss Payne-Ellis hatte nicht versäumt, die Quelle anzugeben, aus der sie da schöpfte. Grant blätterte nun langsamer, um nach weiteren solchen Schriftstücken zu suchen. Tatsachenbeweise waren genau das, was ein Polizist sich wünschte.
    Er fand keine, stieß jedoch auf die Schilderung einer Familienszene, die ihn einen Augenblick gefesselt hielt:

    »Die Herzogin trat in das klare, harte Sonnenlicht eines Londoner Dezembermorgens. Da zogen sie nun dahin: ihr Gemahl, ihr Bruder und ihr Sohn. Dirk und seine Neffen brachten die Pferde in den Hof und scheuchten dabei die Tauben und die schilpenden Sperlinge vom Kopfsteinpflaster auf. Sie sah ihren Gemahl anmutig und umsichtig wie stets in den Sattel steigen. Seiner beherrschten Haltung war es nicht anzumerken, daß er nicht etwa nach Fotheringhay ritt, um neue Zuchtschafe zu inspizieren, sondern in die Schlacht. Ihr Bruder Salisbury war ein Nevill und temperamentvoll. Er war sich der Größe des Augenblicks bewußt und kostete ihn auch ein wenig aus. Sie betrachtete die beiden Männer und mußte im stillen über sie lächeln. Aber Edmunds Anblick rührte an ihr Herz. Der siebzehnjährige Edmund – so schlank, so unerfahren und so verletzbar. Sein Gesicht war vor Stolz und Erregung über diesen Aufbruch zur ersten Schlacht gerötet. Sie wollte ihrem Gemahl Zurufen: ›Gib acht auf Edmund!‹ Aber das war nicht möglich. Ihr Gemahl würde sie nicht verstehen, und Edmund wäre wütend geworden. Wenn Eduard, der nur ein Jahr älter war, in diesem Augenblick eine eigene Armee an der Grenze von Wales befehligte, dann war er, Edmund, bei Gott, alt genug, um den Krieg aus eigener Anschauung zu erleben.
    Sie blickte sich nach den drei jüngeren Kindern um, die mit ihr herausgekommen waren: Margaret und George, die beiden stämmigen Blonden, und hinter ihnen, wie stets eine Schrittlänge zurück, Richard, ihr Wechselbalg. Mit seiner finsteren Miene und seinem dunklen Haar wirkte er wie ein Besucher. Die gutmütige, schlampige Margaret folgte dem Schauspiel mit der tränenfeuchten Rührung einer Vierzehnjährigen, George mit leidenschaftlicher Eifersucht und tief erbittert darüber, daß er erst elf war und sich daher in diesem kriegerischen Augenblick mit einer Statistenrolle begnügen mußte. Der magere, kleine Richard gab sich völlig ungerührt, aber seine Mutter merkte, daß er zitterte wie eine leise gerührte Trommel.
    Die drei ritten mit klappernden Hufen und klirrendem Zaumzeug aus dem Hof. Die Kinder riefen ihnen nach, hüpften und winkten, bis sie durch das Tor verschwunden waren.
    Und Cicely, die in ihrem Leben so viele Männer und so viele Familienmitglieder in den Krieg hatte ziehen sehen, kehrte mit einem ungewohnt beklemmenden Gefühl wieder ins Haus zurück. Welcher von ihnen, so fragte eine Stimme in ihrem widerstrebenden Herzen, welcher von ihnen ist es, der nicht mehr zurückkommt?
    Sich auszumalen, daß vielleicht keiner von ihnen zurückkommen könnte, überstieg ihre Vorstellungskraft. Der Gedanke, daß sie keinen mehr Wiedersehen könne, kam ihr nicht.
    Und doch sollten, noch ehe das Jahr zur Neige ging, der Kopf ihres Gemahls, zum Spott mit einer Papierkrone geziert, an das Micklegate Bar in York und die Köpfe ihres Bruders und Sohnes an zwei weitere Tore angenagelt werden.«

    Nun, das mochte vielleicht romanhaft sein, aber es gab doch einen wesentlichen Hinweis auf Richard. Der Dunkle in einer blonden Familie. Das Kind, das »wie ein Besucher wirkte«, der »Wechselbalg«.
    Er wandte sich für den Augenblick von Cicely Nevill ab und durchsuchte das Buch nach ihrem Sohn Richard. Aber Miss Payne-Ellis schien kein sehr großes Interesse an Richard zu haben. Für sie war er einfach ein Anhängsel der Familie. Der strahlende junge Recke, der die Orgelpfeifen anführte, lag ihr näher. Und Eduard stellte auch etwas vor. Mit seinem Nevill-Vetter Warwick, dem Sohn Salisburys, gewann er die Schlacht von Towton und bewies, obgleich die Grausamkeiten der Lancasters noch deutlich vor seinen Augen standen und seines Vaters Kopf noch immer am Micklegate Bar hing, jene Toleranz, die für ihn so charakteristisch werden sollte. In Towton gab es für jeden, der darum bat, Pardon. Eduard wurde in der Westminster Abtei zum König von England gekrönt, und zwei kleine Knaben, die aus dem Exil in Utrecht heimgekehrt waren,

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