Alibi für einen König
er sich, bis Marta ihm den unfehlbaren und geheiligten Thomas More mit seinem persönlichen Bericht über Richard brachte, eben mit Cicely Nevill, Herzogin von York, amüsieren.
Er betrachtete den Stammbaum. Die beiden gekrönten Brüder York, Eduard und Richard, verfügten offenbar nicht nur über eine einmalige Erfahrung mit dem Alltagsleben des kleinen Mannes, sondern waren auch Engländer allerreinsten Wassers. Er betrachtete ihre Ahnenreihe und staunte. Etwas Englischeres konnte es wohl kaum geben. Nevill, Fitzalan, Percy, Holland, Mortimer, Clifford, Audley und Plantagenet. Königin Elisabeth war durch und durch englisch (und rühmte sich dessen), sofern man den Schuß wallisischen Blutes ebenfalls als englisch bezeichnete. Aber unter den Mischlingsmonarchen – halb französisch, halb spanisch, halb dänisch, halb niederländisch, halb portugiesisch –, die Englands Thron von der Eroberung bis zum Bauernkönig Georg geziert hatten, zeichneten sich Eduard IV. und Richard III. dadurch aus, daß sie unverfälschte Landesprodukte waren.
Außerdem stellte Grant fest, daß sie von Mutterseite wie von Vaterseite aus königlichem Geblüt waren. Cicely Nevills Großvater war John of Gaunt, der erste der Lancaster und der dritte Sohn Eduards III. Ihr Gemahl stammte zweimal in direkter Linie von Eduard III. ab. Also hatten drei der fünf Söhne Eduards III. zur Entstehung der beiden Brüder York beigetragen.
»Ein Nevill zu sein«, so sagte Miss Payne-Ellis, »bedeutete etwas, denn die Nevills waren Großgrundbesitzer. Eine Nevill zu sein, hieß beinah stets, gut auszusehen, denn die Nevills waren eine gut aussehende Familie. Eine Nevill zu sein, hieß eine Persönlichkeit zu sein, denn die Nevills zeichneten sich sowohl durch Charakter wie durch Temperament aus. Alle drei Nevillgaben in höchster Vollendung in einer Person zu vereinigen, war das glückliche Los von Cicely Nevill, der einzigen Rose des Nordens, lange ehe dieser Norden gezwungen war, sich zwischen weißen und roten Rosen zu entscheiden.«
Miss Payne-Ellis behauptete auch, daß die Heirat mit Richard Plantagenet, Herzog von York, eine Liebesheirat war. Grant stand dieser Behauptung skeptisch gegenüber, bis er die Folgen dieser Ehe entdeckte. Wenn im 15. Jahrhundert eine Familie jährlich Zuwachs bekam, so war dies nichts anderes als ein Beweis von Fruchtbarkeit. Und die große Familie, die Cicely Nevill ihrem charmanten Gemahl schenkte, konnte ebensowohl ein Zeichen für Liebe wie für regelmäßigen Beischlaf sein. Aber die ungewöhnliche Tatsache, daß Cicely Nevill in einer Zeit, da die Ehefrau züchtig zu Hause zu sitzen und sich um ihre Wirtschaft zu kümmern hatte, fortwährend in Gesellschaft ihres Gemahls umherreiste, berechtigte zu dem Schluß, daß man beiderseits diese Gesellschaft überaus zu schätzen wußte. Ausmaß und Häufigkeit dieser Reisen ließen sich an den Geburtsorten der Kinder ablesen. Anne wurde in Fotheringhay, dem Familiensitz in Northamptonshire, geboren. Henry, der als Baby starb, in Hatfield. Eduard in Rouen, wo der Herzog im Heeresdienst stand. Edmund und Elisabeth ebenfalls in Rouen. Margaret in Fotheringhay; John, der in jungen Jahren starb, in Wales. George in Dublin (was vielleicht die beinahe irische Perversität des unmöglichen George erklärte). Richard in Fotheringhay.
Cicely Nevill hatte nicht am trauten Herd in Northamptonshire gesessen und darauf gewartet, wann es ihrem Herrn und Meister gefiel, sie zu besuchen. Sie hatte ihn auf seinen Reisen begleitet. Das gab der Theorie von Miss Payne-Ellis recht. Zumindest mußte es eine sehr erfolgreiche Ehe gewesen sein.
Und das war vielleicht auch eine Erklärung für den Familiensinn, den jene täglichen Besuche Eduards bei seinen kleinen Brüdern im Hause Paston bewiesen. Die Familie York war, auch ehe sie schwere Prüfungen heimsuchten, eine einige Familie.
Dies fand eine weitere überraschende Bestätigung, als Grant beim Durchblättern des Buches auf einen Brief stieß, den die beiden älteren Knaben Eduard und Edmund an ihren Vater geschrieben hatten. In Schloß Ludlow, wo sie ihren Studien nachgingen, hatten sie an einem Samstag in der Osterwoche den Kurier dazu benützt, sich bei ihrem Vater heftig über ihren Erzieher zu beschweren und ihn zu bitten, dem Kurier, William Smyth, Gehör zu schenken, da er alle Einzelheiten ihrer Leidensgeschichte kenne. Dieser SOS-Ruf begann und endete mit einigen höflichen Floskeln, enthielt jedoch auch die
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