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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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ernannte man zum Herzog von Clarence und zum Herzog von Gloucester. Eduard ließ auch seinen Vater und seinen Bruder Edmund mit großem Pomp in der Kirche von Fotheringhay beisetzen. Aber es war der dreizehnjährige Richard, der jenen traurigen Leichenzug durch den strahlenden Glanz fünf sonnengoldener Julitage von Yorkshire nach Northamptonshire geleitete. Fast sechs Jahre waren verstrichen, seit er auf den Treppenstufen von Baynard’s Castle in London gestanden und sie fortreiten gesehen hatte.
    Erst als Eduard schon eine Weile König war, ließ Miss Payne-Ellis Richard wieder in ihrer Geschichte auftreten. Da wurde er, zusammen mit seinen Nevill-Vettern, in Middleham in Yorkshire erzogen.

    »Als Richard aus dem grellen Sonnenschein und dem brausenden Wind von Wensleydale in den Schatten des Schloßturms ritt, kam ihm alles seltsam verändert vor. Die Wachen unterhielten sich laut und erregt im Torhaus und verstummten betreten, als sie seiner ansichtig wurden. Aus dieser plötzlichen Stille gelangte er in einen schweigenden Hof, der zu dieser Stunde von Geschäftigkeit hätte summen müssen. Es war kurz vor dem Abendessen. Gewohnheit wie Hunger führte alle Bewohner Middlehams von ihren verschiedenen Beschäftigungen nach Hause, wie auch er von der Falkenjagd zur abendlichen Mahlzeit heimgekehrt war. Das Schweigen und die Leere waren etwas Ungewöhnliches. Er führte sein Pferd zu den Stallungen, fand dort aber niemanden, dem er es hätte übergeben können. Als er absattelte, bemerkte er in der nächsten Box einen schweißnassen Braunen, ein Pferd, das nicht nach Middleham gehörte. Ein Pferd, das so erschöpft war, daß es seine Krippe nicht leergefressen hatte und den Kopf herabhängen ließ.
    Richard rieb sein Pferd ab, brachte ihm Heu und frisches Wasser und ging. Er grübelte über das erschöpfte Pferd und die unheimliche Stille nach. Als er in der Eingangstür stehen blieb, hörte er Stimmen in der Großen Halle. Er überlegte, ob er, ehe er sich in seine eigenen Zimmer hinauf begab, hineingehen und nachsehen sollte, was los war. Während er noch zögerte, hörte er vom Treppenabsatz ein lautes ›Psst!‹
    Er blickte nach oben und sah seine Kusine Anne über das Treppengeländer herunterspähen. Die langen blonden Zöpfe baumelten wie Glockenseile.
    ›Richard!‹ rief sie mit unterdrückter Stimme. ›Weißt du schon?‹
    ›Ist was passiert?‹ fragte er. ›Was ist los?‹
    Er ging die Treppe hinauf, und sie packte ihn an der Hand und zog ihn bis in das Schulzimmer im Dachgeschoß mit sich.
    ›Aber was ist denn bloß?‹ fragte er und machte sich von dem Kind los. ›Was ist denn geschehen? Ist es denn so schrecklich, daß du es mir nicht sagen kannst?‹
    Sie zerrte ihn in das Schulzimmer und schloß die Tür.
    ›Es geht um Eduard!‹
    ›Eduard? Ist er krank?‹
    ›Nein! Ein Skandal!‹
    ›Ach so‹, sagte Richard erleichtert. Wo Eduard war, gab es immer Skandal. ›Was ist es denn? Hat er eine neue Geliebte?‹
    ›Viel schlimmer! Ach, viel, viel schlimmer. Er ist verheiratet.‹
    ›Verheiratet?‹ fragte Richard so ungläubig, daß seine Stimme fast tonlos klang. ›Das ist unmöglich.‹
    ›Doch, er ist es. Vor einer Stunde traf die Nachricht aus London ein.‹
    ›Er kann nicht verheiratet sein‹, beharrte Richard. ›Für einen König ist Heiraten eine umständliche Angelegenheit. Sie besteht aus Kontrakten und Vereinbarungen. Ja, ich glaube, sogar das Parlament mischt sich ein. Weshalb vermutest du denn, daß er geheiratet hat?‹
    ›Das ist keine Vermutung!‹ sagte Anne, der nun die Geduld riß, weil ihre Sensationsnachricht so skeptisch aufgenommen wurde. ›Die ganze Familie tobt und diskutiert in der Großen Halle diesen Skandal.‹
    ›Anne! Hast du an der Tür gehorcht?‹
    ›Ach, sei doch nicht so tugendhaft. Ich brauchte gar nicht erst zu horchen. Das Geschrei war bis zum anderen Flußufer zu hören. Er hat Lady Grey geheiratet.‹
    ›Wer ist Lady Grey? Lady Grey of Groby?‹
    ›Ja.‹
    ›Aber das ist doch ausgeschlossen. Sie hat zwei Kinder und ist schon ziemlich alt.‹
    ›Sie ist fünf Jahre älter als Eduard und märchenhaft schön – so habe ich es jedenfalls gehört.‹
    ›Wann ist denn das passiert?‹
    ›Sie sind seit fünf Monaten verheiratet. Sie haben sich heimlich in Northamptonshire trauen lassen.‹
    ›Aber ich dachte, er würde die Schwester des Königs von Frankreich heiraten.‹
    ›Das hat mein Vater auch gedacht‹, sagte Anne in bedeutungsvollem

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