Alibi für einen König
Eindruck, aber schließlich war jeder Bericht über Richard unterhaltsamer als Bücher über andere Leute. Er fing also an, darin zu blättern und merkte schließlich auch, was Brent gemeint hatte, als er sagte, der gute Doktor sei »zum Schreien«. Dr. Gairdner glaubte stur, daß Richard ein Mörder war. Weil er aber ein ehrlicher, gelehrter und auch im Rahmen seiner Geistesgaben unparteiischer Schriftsteller war, lag es ihm nicht, Tatsachen zu verschweigen. Wie nun der gute Dr. Gairdner versuchte, seine Fakten mit seiner Theorie in Einklang zu bringen, das war die unterhaltendste Gehirnakrobatik, die Grant seit langem erlebt hatte.
Dr. Gairdner bestätigte, offenbar ohne sich einer Ungereimtheit bewußt zu sein, Richards große Klugheit, Großzügigkeit, Mut, Tüchtigkeit, Charme, Popularität und Vertrauen, das er selbst seinen besiegten Feinden noch einflößte. Und im gleichen Atemzug berichtete er von der niederträchtigen Schmähung seiner Mutter und dem Abschlachten zweier hilfloser Kinder. So sagt die Überlieferung, schrieb der geschätzte Doktor, und gab damit feierlich die grauenhafte Überlieferung weiter und machte sie sich zu eigen. Richard besaß keinen niedrigen oder kleinlichen Charakterzug, schrieb der Doktor, aber er war ein Mörder unschuldiger Kinder. Selbst seine Feinde vertrauten auf seine Gerechtigkeit, aber er mordete seine eigenen Neffen. Seine Lauterkeit war bemerkenswert, aber er tötete aus Habsucht.
Als Gehirnakrobat war Dr. Gairdner das Urbild des Schlangenmenschen. Grant hätte wirklich zu gern gewußt, mit welchem Teil ihres Gehirns die Historiker argumentierten. Gewiß taten sie es nicht auf die gleiche Weise, in der gewöhnliche Sterbliche zu ihren Schlußfolgerungen kommen. Weder in Romanen noch in Tatsachenberichten und ganz gewiß nicht im Leben war Grant jemals einem menschlichen Wesen begegnet, das auch nur die leiseste Ähnlichkeit mit Dr. Gairdners Richard oder Oliphants Elisabeth Woodville gehabt hätte.
Vielleicht war doch etwas an Lauras Theorie, daß die Menschen nur schwer eine vorgefaßte Meinung aufgeben können. Daß eine undefinierbare innere Opposition gegen das Aufgeben einer einmal eingenommenen Haltung bestand. Jedenfalls schlug Dr. Gairdner wie ein geängstigtes Kind nach der Hand, die ihn auf den Weg der Erkenntnis hätte führen können.
Grant wußte nur allzu gut, daß charmante Männer von großer Untadeligkeit mitunter Morde begangen hatten. Aber nicht einen solchen Mord und nicht aus solchen Gründen. Die Sorte Mann, die Dr. Gairdner in seinem Buch über das Leben und die Regierungszeit Richards III. geschildert hatte, mordete nur, wenn das eigene Leben durch irgendeine gewaltige Erschütterung aus dem Gleichgewicht gebracht worden war. Vielleicht würde ein solcher Mann seine Frau wegen einer plötzlich entdeckten Untreue ermorden. Oder auch den Geschäftspartner, dessen heimliche Spekulationen die Firma und die Zukunft der Kinder ruiniert hatten. Jeder Mord, den er beging, würde nur die Folge einer heftigen Gefühlswallung sein können. Niemals wäre es ein von langer Hand vorbereiteter, niemals ein gemeiner, niedriger Mord.
Man konnte nicht sagen: Weil Richard diese oder jene Eigenschaft hatte, war er des Mordes unfähig. Man konnte aber sagen: Weil Richard diese und jene Eigenschaften besaß, war er eines solchen Mordes unfähig.
Es wäre ein törichter Mord gewesen, dieser Mord an den kleinen Prinzen. Und Richard war ein ungewöhnlich kluger Mann. Es war ein unbeschreiblich gemeiner Mord. Und Richard war ein Mann von großer Untadeligkeit. Es war ein durch und durch gefühlloser Mord. Und Richard war für seine Warmherzigkeit bekannt.
Man konnte die ganze Liste seiner anerkannten Tugenden durchgehen und feststellen, daß jede einzelne dieser Tugenden seine Beteiligung an dem Mord außerordentlich unwahrscheinlich machte. Nahm man all diese Tugenden zusammen, so schien der Mord nicht nur unmöglich, sondern geradezu unvorstellbar zu sein.
XV
E ine Person haben Sie aber vergessen«, sagte Carradine, als er einige Tage später höchst vergnügt ins Zimmer gestürzt kam. »Ich meine, auf Ihrer Frageliste.«
»Guten Tag auch. Und wer ist das?«
»Stillington.«
»Natürlich! Der ehrenwerte Bischof von Bath. Wenn Heinrich den Titulus Regius als Beweisstück von Richards Untadeligkeit und der Illegitimität seiner eigenen Frau fürchtete, dann muß er den Urheber noch mehr gefürchtet haben. Was passierte mit unserem Freund Stillington?
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