Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
Vom Netzwerk:
Insbesondere, wenn die Prinzen nicht mehr da waren. Brackenbury war tot. Richard war tot. Man mußte also vom Rangnächsten im Tower erwarten, daß er die Knaben herbeischaffe. Und wenn das nicht möglich war, dann muß dieser Mann gesagt haben: ›Der Befehlshaber hat die Schlüssel für eine Nacht ausgehändigt, und seither hat man die Knaben nicht mehr gesehen.‹ Dann hätte man fieberhaft nach dem Mann gefahndet, der die Schlüssel bekommen hat. Der wäre doch bei einer Verhandlung gegen Richard der ideale Kronzeuge gewesen. Heinrich hatte einen gewaltigen Pluspunkt für sich verbuchen können, wenn er diesen Mann herbeigeschafft hätte.«
    »Nicht nur das. Tyrrel war den Leuten im Tower viel zu bekannt, als daß er unerkannt hinein- und herausgelangen konnte. Im kleinen London dieser Zeit muß er eine bekannte Figur gewesen sein.«
    »Ja. Wenn diese Geschichte stimmte, dann wäre Tyrrel 1485 in aller Öffentlichkeit des Prinzenmordes angeklagt und hingerichtet worden. Er hatte niemanden, der ihn hätte schützen können.« Grant griff nach seinen Zigaretten. »Uns bleibt also die Tatsache, daß Heinrich Tyrrel im Jahre 1502 hinrichten und dann von seinen willfährigen Historikern verkünden ließ, Tyrrel habe gestanden, vor zwanzig Jahren die Prinzen ermordet zu haben.«
    »Ja.«
    »Und er macht keine Miene, irgendwo oder irgendwann irgendeinen Grund anzugeben, weshalb er Tyrrel wegen dieser grauenhaften eingestandenen Tat nicht von einem Gericht hatte aburteilen lassen.«
    »Nein. Nicht daß ich wüßte. Seine Wege waren immer krumm. Nie ging er etwas direkt an, nicht einmal einen Mord. Alles mußte getarnt sein und nach etwas anderem aussehen. Er wartete jahrelang, um für einen Mord irgendeine legale Rechtfertigung zu finden. Sein Gehirn war wie ein Schraubenzieher. Wissen Sie, was seine erste offizielle Handlung als König war?«
    »Nein.«
    »Einige der Männer, die bei Bosworth für Richard kämpften, wegen Hochverrats hinrichten zu lassen. Und wissen Sie, wie er es fertigbrachte, der Sache einen legalen Anstrich zu geben? Indem er seine Regierung vom Tag vor Bosworth an datierte. Ein Mensch, der einer solchen Handlungsweise fähig ist, der ist zu allem fähig.« Brent nahm die Zigarette, die Grant ihm anbot. »Aber das ließ man ihm nicht durchgehen. Das war den Engländern denn doch zu viel. Sie wiesen ihn in seine Schranken.«
    »Wie?«
    »Auf die bekannte höfliche englische Art servierten sie ihm einen Parlamentsbeschluß, demzufolge niemand, der gegenwärtig dem obersten Herrn des Landes diente, des Hochverrats angeklagt oder seiner Besitzungen beraubt oder eingesperrt werden dürfe, und sie zwangen ihn, diesen Beschluß zu billigen. Das ist sehr englisch, diese erbarmungslose Höflichkeit. Man lärmte weder in den Gassen, noch warf man Steine, weil man seinen kleinen Schwindel durchschaut hatte und mißbilligte. Man servierte ihm nur diesen hübschen, höflichen und einleuchtenden Beschluß, und den mußte er schlucken. Ich wette, daß er ihm sauer aufgestoßen ist. So, und nun muß ich wieder gehen. Es freut mich wirklich, daß Sie jetzt schon sitzen und mitschreiben können. Wir werden unseren Ausflug nach Greenwich wohl schon sehr bald machen, denke ich. Was gibt’s denn in Greenwich zu sehen?«
    »Ein paar sehr schöne Bauten und ein prächtiges Stück verschlammten Fluß.«
    »Ist das alles?«
    »Und ein paar erstklassige Kneipen.«
    »Auf nach Greenwich!«
    Als Carradine fort war, legte Grant sich wieder fläch und rauchte eine Zigarette nach der andern und überdachte dabei die Geschichte jener Erben des Hauses York, die unter Richard III. so prächtig gelebt hatten und unter Heinrich VII. so schmählich gestorben waren, noch einmal von allen Seiten.
    Einige von ihnen mochten ihr Schicksal »herausgefordert« haben. Carradines Bericht war schließlich nur eine Zusammenfassung gewesen – ohne Wertung und ohne Schattierung. Aber es war jedenfalls ein beachtenswertes Zusammentreffen, daß sämtliche Menschen, die zwischen den Tudors und dem Thron standen, so termingemäß starben.
    Ohne große Begeisterung betrachtete Grant das Buch, das der junge Carradine ihm gebracht hatte. Es hieß »Das Leben und die Regierungszeit Richards III.« und hatte einen gewissen James Gairdner zum Verfasser.
    Carradine hatte Grant versichert, er würde Dr. Gairdner bestimmt lesenswert finden. Dr. Gairdner war, wenn man Brent Glauben schenkte, »zum Schreien«.
    Grant machte das Buch nicht gerade einen heiteren

Weitere Kostenlose Bücher