Alibi für einen König
Justizmord?«
»Augenscheinlichhat der alte Knabe nicht mitgespielt.«
»Wobei hat er nicht mitgespielt?«
»Bei Heinrichs Lieblingsspiel. Abschlagen! Entweder war er ein gerissener alter Bursche oder zu unschuldig, um die Fallgrube zu bemerken. Meiner Meinung nach – wenn ein schlichter wissenschaftlicher Arbeiter überhaupt eine Meinung haben darf – war er so unschuldig, daß kein Agent provocateur ihn zu irgend etwas provozieren konnte. Auf jeden Fall zu nichts, was man als Kapitalverbrechen ausdeuten könnte.«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, daß er Heinrich überlistet hat?«
»Nein. O nein. Niemand hat Heinrich jemals überlistet. Heinrich stellte ihn unter Anklage und vergaß dann so ganz nebenbei, ihn wieder freizulassen. Und er ward nicht mehr gesehen ...«
»Sie sind aber heute morgen sehr lustig, um nicht zu sagen, übermütig.«
»Sagen Sie das nicht in einem so mißtrauischen Ton. Ich habe keinen Tropfen Alkohol gesehen. Was Sie an mir bemerken, ist intellektuelle Kohlensäure. Trunkenheit sonder Wein. Ein rein zerebraler Vorgang.«
»Na, denn mal ’raus damit. Setzen Sie sich und schießen Sie los. Was ist denn so prächtig? Ich nehme an, Sie haben was auf Lager?«
»Prächtig ist kaum das richtige Wort. Es ist herrlich, einfach himmlisch.«
»Haben Sie nicht doch vielleicht ein ganz kleines Gläschen –?«
»Ich brächte heute morgen beim besten Willen nicht einen Tropfen hinunter. Ich bin bis zum Überlaufen befriedigt.«
»Dann muß ich annehmen, daß Sie den fehlenden Stein im Mosaik gefunden haben?«
»Ja, ich habe ihn gefunden. Aber er liegt zeitlich später, als wir glaubten. Während der ersten Monate verhielten sich alle so, wie man es von ihnen erwarten sollte. Heinrich übernahm die Regierung, schaffte Ordnung und ehelichte die Schwester der Knaben – über die Knaben wurde kein Wort verloren. Sein eigenes Todesurteil ließ er durch ein Parlament aufheben, das aus seinen eigenen ehemals geächteten Anhängern zusammengesetzt war, und er ließ ein Gesetz zur Ächtung Richards und dessen getreuer Untertanen verabschieden, wodurch deren Lehnstreue zum Hochverrat wurde. Weil er einen Tag vordatierte, wie wir wissen, kam ein schöner Haufe eingezogener Besitztümer zusammen. Und über die Knaben noch immer kein Wort. Der Mönch von Croyland war übrigens über Heinrichs schurkisches Vorgehen in der Hochverratsangelegenheit furchtbar empört. ›O Gott‹, schrieb er, ›welche Sicherheit werden unsre Könige von nun an in Zeiten des Kampfes haben, wenn man ihre treuen Anhänger im Fall einer Niederlage des Lebens und Besitzes berauben kann!‹«
»Da rechnete er aber nicht mit seinen Landsleuten.«
»Ja. Er hätte wissen müssen, daß die Engländer sich früher oder später der Sache annehmen würden. Vielleicht war er ein Ausländer. Auf jeden Fall verlief alles genauso, wie man es erwarten durfte, nachdem Heinrich nun mal am Ruder war. Im August 1485 bestieg er den Thron, und im Januar darauf heiratete er Elisabeth. Elisabeth gebar ihr erstes Kind in Winchester, und ihre Mutter war bei ihr und bei der Taufe zugegen. Das war im September 1486. Im Herbst kam sie dann wieder nach London zurück – die Königinwitwe meine ich. Und im Februar – halten Sie sich bitte fest –, im Februar wurde sie für den Rest ihres Lebens in ein Kloster eingesperrt.«
»Elisabeth Woodville?« sagte Grant in höchstem Erstaunen. Das war das letzte, was er erwartet hatte.
»Ja. Elisabeth Woodville. Die Mutter der Knaben.«
»Woher wissen Sie, daß sie nicht freiwillig ins Kloster ging?« fragte Grant, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Bei großen Damen, die des Hof lebens müde waren, war es nichts Ungewöhnliches, daß sie sich in ein Kloster zurückzogen. Das Leben dort war nicht sehr streng. Für eine reiche Frau war es, glaube ich, sogar recht angenehm.«
»Heinrich beraubte sie aber ihres ganzen Besitzes und schickte sie in ein Nonnenkloster in Bermondsey. Und das hat übrigens ungeheures Aufsehen erregt. Es gab ›ein großes Staunen‹.«
»Das wundert mich nicht. Eine unglaubliche Geschichte! Hat er denn einen Grund angegeben?«
»Ja.«
»Und welchen?«
»Sie sei nett zu Richard gewesen.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Gewiß.«
»Und ist das auch der offizielle Wortlaut?«
»Nein. Das ist die Version von Heinrichs Lieblingshistoriker.«
»Virgil?«
»Ja. Der Wortlaut des Ratsbeschlusses, auf den hin sie eingesperrt wurde, lautet: ›Aus verschiedenen
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