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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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Erwägungen‹.«
    »Zitieren Sie?« fragte Grant ungläubig.
    »Ich zitiere. Er lautete wörtlich: ›Aus verschiedenen Erwägungen‹.«
    Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Grant: »Also für Ausreden hatte er keine große Begabung. Mir wären da mindestens sechs bessere eingefallen.«
    »Entweder war es ihm nicht der Mühe wert, oder er hielt seine Umwelt für außerordentlich gutgläubig. Bedenken Sie, diese Nettigkeit Richard gegenüber störte ihn erst, als er schon achtzehn Monate lang auf Richards Thron saß. Bis zu diesem Augenblick schien alles in Butter gewesen zu sein. Als er Richard auf den Thron folgte, hatte er sie mit Geschenken, Landsitzen und wer weiß was noch überhäuft.«
    »Und was ist der wirkliche Grund? Haben Sie eine Ahnung?«
    »Nun, ich habe noch eine Kleinigkeit auf Lager, die Ihnen vielleicht weiterhilft. Mir jedenfalls ging ein riesengroßes Licht auf.«
    »Lassen Sie hören!«
    »Im Juni dieses Jahres –«
    »Welches Jahr meinen Sie?«
    »Elisabeths erstes Ehejahr, 1486. Jenes Jahr, da sie im Januar heiratete und im September Prinz Artur in Winchester gebar, von ihrer Mutter umsorgt.«
    »Gut. Und was passierte da?«
    »Im Juni dieses Jahres erhielt Sir James Tyrrel Generalpardon. Am 16. Juni.«
    »Aber das bedeutet gar nichts. Das war damals am Schluß einer Amtsperiode oder zu Beginn einer neuen ganz üblich. Das heißt lediglich, daß man alle Dinge bereinigte, die irgend jemand später vielleicht einmal gegen einen Vorbringen könnte.«
    »Ja, das weiß ich. Das ist mir bekannt. Der erste Pardon ist auch gar nicht so überraschend.«
    »Der erste Pardon? Gab es denn noch einen zweiten?«
    »Ja. Das ist der Clou. Genau einen Monat später, am 16. Juli 148 6, wurde Sir James ein zweites Mal begnadigt.«
    »Ja«, sagte Grant nachdenklich, »das ist allerdings ungewöhnlich.«
    »Es ist sogar höchst ungewöhnlich. Ich fragte einen alten Knaben, der neben mir im B.M. arbeitet – er betreibt historische Nachforschungen und war mir eine große Hilfe –, und der sagte, es sei ihm noch nie etwas Derartiges untergekommen. Ich zeigte ihm die beiden Eintragungen in den »Denkwürdigkeiten Heinrichs VII.‹, und er betrachtete sie mit der staunenden Hingabe eines Kenners.«
    Grant rekapitulierte: »Am 16. Juni wird Tyrrel Generalpardon gewährt. Am 16. Juli wird ihm ein zweiter Generalpardon gewährt. Etwa im November kommt die Mutter der Knaben wieder in die Stadt zurück. Und im Februar wird sie für den Rest ihres Lebens hinter Klostermauern verbannt.«
    »Das spricht doch Bände, was?«
    »Allerdings.«
    »Glauben Sie, daß er es getan hat? Tyrrel?«
    »Möglich. Es ist jedenfalls sehr auffällig, daß wir auf der Suche nach dem fehlenden Mosaikstein gerade in Tyrrels Lebenslauf einen völlig unerklärlichen Bruch feststellen. Wann wurde das Gerücht über das Verschwinden der Knaben zum erstenmal laut? Ich meine, wann wurde zum erstenmal offen darüber gesprochen?«
    »Offenbar schon ziemlich zu Beginn von Heinrichs Regierung.«
    »Das paßt genau. Auf jeden Fall wäre es eine Erklärung für das, was uns von Anfang an bei dieser Geschichte so verwirrt hat.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Es würde erklären, weshalb die Knaben so sang- und klanglos verschwanden. Das hat sogar die Menschen, die Richard für den Täter halten, immer stutzig gemacht. Wenn man es sich so recht überlegt, dann hätte man Richard diese Sache wohl niemals durchgehen lassen. Zu Richards Zeiten gab es eine große, sehr aktive und sehr mächtige Opposition, und Richard hat diese Opposition im ganzen Land frei und nach Gutdünken leben und walten lassen. Wären die Knaben verschwunden gewesen, dann hätte die ganze Woodville-Lancaster-Sippe Rechenschaft von ihm verlangt. Heinrich hingegen hatte keinerlei Einmischung oder lästige Neugierde zu befürchten. Er hatte seine Opposition sicher hinter Schloß und Riegel. Die einzig mögliche Gefahr war seine Schwiegermutter, und in dem Augenblick, da sie hätte lästig werden können, verschwindet auch sie hinter Schloß und Riegel.«
    »Ja. Glauben Sie nicht, daß sie am Ende irgend etwas unternommen hat? Ich meine, als man ihr keine Nachricht mehr von den Knaben zukommen ließ?«
    »Vielleicht hat sie gar nicht gemerkt, daß sie verschwunden waren. Heinrich konnte ja einfach sagen: ›Ich wünsche nicht, daß Ihr sie seht. Ich finde, daß Ihr einen schlechten Einfluß auf sie habt. Ihr, die Ihr Eure Töchter an den Geselligkeiten dieses Mannes habt

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