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Alibi für einen König

Alibi für einen König

Titel: Alibi für einen König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Tey
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Hilfestellung zu leisten, war der einzige, der sich nicht rührte, der dritte von links gewesen. Der dritte von links wartete ergeben auf seinen Wärter und wurde wieder in die Zelle zurückgeführt.
    »Donnerwetter!« hatte sein Vorgesetzter gesagt. »Die Chancen standen eins zu zwölf – und Sie haben es erraten. Nicht übel. Er hat den richtigen Mann herausgepickt«, sagte er erklärend zum Polizeiinspektor.
    »Kannten Sie ihn?« fragte der Inspektor, ein wenig überrascht. »Soweit wir wissen, ist er zum erstenmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.«
    »Nein, ich habe ihn noch nie gesehen. Ich weiß nicht einmal, was er verbrochen hat.«
    »Wie kommen Sie dann dazu, gerade auf ihn zu tippen?«
    Grant hatte gezögert. Er mußte es sich selbst erst klarmachen. Mit dem Verstand hatte es nichts zu tun. Er konnte kein charakteristisches Merkmal benennen, das auf die Täterschaft hindeutete. Es war eine reine Gefühlssache gewesen. Die Gründe lagen tiefer. Schließlich hatte er gestottert: »Er war der einzige von den zwölf, der ein völlig glattes Gesicht hatte.«
    Darüber hatte man gelacht. Aber als Grant die Angelegenheit noch einmal gründlich überdachte, wurde ihm klar, wie sein Instinkt gearbeitet hatte und welche Überlegungen dem zugrunde lagen. »Es klingt sehr dumm, aber das ist es gar nicht«, hatte er gesagt. »Der einzige Erwachsene mit vollkommen glattem Gesicht ist der Idiot.«
    »Freeman ist kein Idiot, lassen Sie sich das gesagt sein«, unterbrach ihn der Inspektor. »Ein äußerst heller Bursche, das können Sie mir glauben.«
    »So habe ich es auch nicht gemeint. Ich meine, daß der Idiot unzurechnungsfähig ist. Der Idiot ist der Prototyp des unzurechnungsfähigen Menschen. Jeder dieser zwölf Männer, die da standen, war um die dreißig. Aber nur einer hatte das Gesicht eines Unzurechnungsfähigen. Deswegen bin ich auf ihn gekommen.«
    Seit diesem Vorfall nannte man Grant in Scotland Yard halb im Scherz den »Mann, der auf den ersten Blick Bescheid weiß«. Und einmal hatte ein hoher Vorgesetzter neckend zu ihm gesagt: »Erzählen Sie mir bloß nicht, daß Sie glauben, es gäbe so etwas wie ein Verbrechergesicht, Inspektor.«
    »Nein«, hatte Grant geantwortet, so einfach sei das nicht abzutun. »Wenn es nur eine Art von Verbrechen gäbe, Sir, dann ließe sich darüber reden. Aber die Verbrechen sind so vielfältig wie die menschliche Natur, und wenn ein Polizist anfängt, Gesichter in Kategorien einzustufen, dann ist er verloren. Wenn man zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags die Bond Street entlanggeht, dann kann man feststellen, wie die durchschnittliche mannstolle Frau aussieht – und dennoch sieht die berüchtigste Nymphomanin Londons wie eine Säulenheilige aus.«
    »In letzter Zeit ist es nicht mehr weit her mit der Heiligkeit. Sie trinkt zuviel«, hatte der Vorgesetzte erwidert, der sofort wußte, von wem die Rede war. Dann hatten sie von anderen Dingen gesprochen.
    Aber Grants Interesse an Gesichtern war geblieben und allmählich zu einem ernsthaften Studium geworden. Er studierte die Gerichtsakten und zog seine Vergleiche. Es war, wie er schon gesagt hatte, unmöglich, Gesichter in irgendwelche Kategorien zu bringen. Es war aber möglich, einzelne Gesichter zu analysieren. Angesichts der Fotografien von berühmten Gerichtsverhandlungen, auf denen die Hauptakteure der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, gab es gar keinen Zweifel, wer der Angeklagte und wer der Richter war. Manchmal konnte man bei flüchtiger Betrachtung einen der Anwälte mit dem Angeklagten verwechseln – Anwälte waren schließlich nur Durchschnittsmenschen, der Leidenschaft und der Begierde ebenso ausgesetzt wie die übrige Menschheit. Einem Richter aber haftete etwas Besonderes an, er war unversehrt und stand über den Dingen. Auch ohne Perücke war er mit dem Mann auf der Anklagebank, der weder unversehrt war noch über den Dingen stand, nicht zu verwechseln.
    Martas James hatte es offenbar tatsächlich Spaß gemacht, aus seinem »Verschlag« gezerrt zu werden, denn eine prächtige Auswahl von Missetätern oder deren Opfern unterhielt Grant, bis die Zwergin ihm den Tee brachte. Als er die Blätter einsammelte, um sie in seine Schublade zu tun, entdeckte er noch ein Bild, das von seiner Brust gerutscht und den ganzen Nachmittag über unbemerkt auf der Bettdecke gelegen hatte.
    Es war das Porträt eines Mannes. Eines Mannes, der die Samtmütze und das geschlitzte Wams des späten 15. Jahrhunderts trug. Eines

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