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Alibi

Alibi

Titel: Alibi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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auf die Fingerabdrücke zu lenken. Ich weiß nicht viel von Schlingen und Windungen – Sie sehen, ich gestehe meine Unwissenheit offen ein. Aber es fiel mir auf, dass die Lage der Abdrücke etwas merkwürdig war. Ich würde einen Dolch nicht so halten, um zuzustoßen. Wenn aber die rechte Hand über die Schulter nach hinten hochgezogen wird, dann natürlich kann die richtige Lage unschwer hergestellt werden.»
    Inspektor Raglan starrte den kleinen Mann an. Gleichmütig entfernte Poirot ein Stäubchen von seinem Rockärmel.
    «Nun», schloss der Inspektor, «dies ist auch ein Standpunkt. Ich will der Sache nachgehen, aber seien Sie nicht enttäuscht, wenn nichts dabei herauskommt.»
    Er bemühte sich, etwas gönnerhaft zu sprechen. Poirot wartete, bis er weg war. Dann zwinkerte er mir zu.
    «Ein andermal», bemerkte er, «muss ich seine Eigenliebe mehr berücksichtigen. Und nun, da wir unter uns sind: Was halten Sie von einer kleinen Familienversammlung?»
    Die «kleine Versammlung», wie Poirot sie nannte, fand eine halbe Stunde später statt. Wir saßen rund um den Tisch des Esszimmers von Fernly. Mr. Poirot obenan wie der Vorsitzende eines Beratungsausschusses. Die Dienerschaft war nicht zugegen, daher waren wir sechs. Mrs. Ackroyd, Flora, Major Blunt, der junge Raymond, Poirot und ich.
    Poirot stand auf und verneigte sich.
    «Meine Damen und Herren, ich habe Sie aus einem bestimmten Grund hergebeten.» Er hielt inne. «Vor allem möchte ich an Mademoiselle eine besondere Bitte richten.»
    «An mich?», fragte Flora.
    «Mademoiselle. Sie sind mit Captain Paton verlobt. Wenn irgend jemand sein Vertrauen genießt, so sind Sie es. Ich bitte Sie, falls Sie seinen Aufenthalt kennen, ihn zu überreden, sich hier zu zeigen. Einen kleinen Augenblick» – da Flora den Kopf hob, um zu sprechen –, «sagen Sie nichts, ehe Sie nicht gut überlegt haben, Mademoiselle. Seine Lage wird täglich gefährlicher. Hätte er sich sofort gemeldet, gleichgültig, wie belastend die Tatsachen auch schienen, so hätte er die Möglichkeit gehabt, sie zu widerlegen. Aber dieses Schweigen – die Flucht – was kann das bedeuten? Sicher nur eines – Schuldbewusstsein, Mademoiselle! Wenn Sie wirklich an seine Unschuld glauben, so überreden Sie ihn, zurückzukehren, bevor es zu spät ist.»
    Poirot neigte sich vor. «Sehen Sie, Mademoiselle, Papa Poirot bittet Sie darum. Der alte Papa Poirot, der viel weiß und viel Erfahrung hat. Ich würde Sie nie in eine Falle locken, Mademoiselle. Wollen Sie mir nicht vertrauen und mir sagen, wo Ralph Paton sich versteckt?»
    «Monsieur Poirot», antwortete sie mit klarer Stimme. «Ich schwöre Ihnen, ich schwöre feierlichst, dass ich keine Ahnung habe, wo Ralph ist, und dass ich weder am Tag des Mordes noch nachher etwas von ihm gehört oder gesehen habe.»
    Sie setzte sich wieder. Poirot blickte sie lange schweigend an, dann ließ er seine Hand mit schwerem Schlag auf den Tisch fallen.
    «Gut also», sagte er. «Nun appelliere ich an alle anderen an diesem Tisch. Mrs. Ackroyd, Major Blunt, Doktor Sheppard, Mr. Raymond. Sie alle sind Freunde und Vertraute des Vermissten. Wenn Sie wissen, wo Ralph Paton sich befindet, so sagen Sie es.»
    Langes Schweigen. Poirot sah von einem zum anderen. «Ich bitte nochmals», wiederholte er leise, «sagen Sie es.»
    Das Schweigen dauerte an, bis endlich Mrs. Ackroyd die Stille brach.
    «Ich muss sagen», bemerkte sie klagend, «dass Ralphs Abwesenheit höchst sonderbar ist. Wirklich höchst sonderbar, sich in einem solchen Augenblick zu verstecken. Wirklich, liebe Flora, ein sehr glücklicher Zufall, dass deine Verlobung noch nicht publik gemacht wurde.»
    «Mutter!», rief Flora aufgebracht.
    «Vorsehung», erklärte Mrs. Ackroyd. «Ich glaube an die Vorsehung – an eine göttliche Macht, die unsere Schicksale bestimmt, wie Shakespeare es so schön sagt.»
    «Sie machen doch hoffentlich den Allmächtigen nicht für allzu viel verantwortlich?», fragte Geoffrey Raymond und lachte leicht auf.
    Es schien seine Absicht zu sein, die Spannung zu lösen, doch Mrs. Ackroyd warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und zog ihr Taschentuch.
    «Eine Unmenge Unannehmlichkeiten blieb Flora erspart. Nicht, dass ich einen Augenblick lang glaube, dass unser lieber Ralph mit dem Tod des armen Roger etwas zu tun hat. Ich glaube nicht daran. Ich habe ein vertrauensvolles Herz – ich hatte es immer, seit meiner Kindheit. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Ralph als junger Mensch

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