Alibi
Lieber», warnte der Chefinspektor.
«Zum Teufel mit der Zunge! Weshalb ich hinging, ist meine Sache. Das ist alles, was darüber zu sagen ist.»
«Sie heißen Charles Kent?», fragte Poirot. «Wo sind Sie geboren?»
Der Mann starrte ihn an, dann begann er zu grinsen. «Ich bin vollwertiger Brite», sagte er.
«Ja», bemerkte Poirot nachdenklich. «Ich glaube, das sind Sie. Ich denke, Sie kamen in Kent auf die Welt?»
Der Mann starrte ihn an.
«Warum? Wegen meines Namens? Was hat der damit zu tun? Ist ein Mann, weil er Kent heißt, verpflichtet, in jener Grafschaft geboren zu sein?»
«Unter gewissen Umständen kann ich mir denken, dass das so ist», sagte Poirot mit Bedacht. «Unter gewissen Umständen, verstehen Sie?»
Er betonte dies so nachdrücklich, dass die beiden Polizeibeamten erstaunt aufhorchten. Charles Kent dagegen stieg das Blut so sehr zu Kopf, dass ich einen Augenblick lang dachte, er werde Poirot an die Gurgel fahren. Er überlegte es sich jedoch und wandte sich lachend ab.
Poirot nickte befriedigt und zog sich zurück. Die beiden Polizeibeamten folgten ihm.
«Wir wollen diese Angaben überprüfen», bemerkte Raglan. «Ich glaube nicht, dass er lügt. Aber er wird uns erzählen müssen, was er eigentlich in Fernly gesucht hat. Es sieht so aus, als hätten wir unseren Erpresser gefunden. Vorausgesetzt, dass seine Geschichte wahr ist, kann er nichts mit dem Mord zu tun gehabt haben. Er hatte zehn Pfund bei sich, als wir ihn festnahmen, eigentlich eine große Summe. Ich denke, jene vierzig Pfund flossen in seine Tasche – die Nummern der Noten stimmen zwar nicht, aber er wird sie natürlich gewechselt haben. Wahrscheinlich hat Mr. Ackroyd ihm das Geld gegeben, worauf er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machte. Was meinen Sie übrigens damit, dass er wohl aus Kent gebürtig ist? Was hat das damit zu tun?»
«Nicht das Geringste», erwiderte Poirot freundlich. «Nur ein kleiner Einfall von mir, sonst nichts. Ich … ich bin berühmt für meine kleinen Einfälle.»
«Wirklich?», fragte Raglan und betrachtete ihn neugierig.
Der Chefinspektor brach in schallendes Gelächter aus.
«Wiederholt hörte ich Inspektor Japp sagen: ‹Poirot und seine kleinen Einfälle!› Zu fantastisch für mich, aber es steckt etwas dahinter!»
«Sie machen sich über mich lustig», lächelte Poirot, «aber das macht nichts. Die Alten lachen manchmal immer noch, wenn den Jungen, Klugen das Lachen schon lange vergangen ist.»
Dann nickte er ihnen zu und trat auf die Straße hinaus.
Wir aßen in einem Hotel. Ich weiß jetzt, dass damals die ganze Sache schon klar enträtselt vor ihm lag. Er hatte die letzte Spur gefunden, die ihn zur Wahrheit führen sollte.
Zu jener Zeit jedoch argwöhnte ich noch nichts. Ich unterschätzte sein Selbstvertrauen und setzte als erwiesen voraus, dass die Dinge, die mir rätselhaft schienen, auch ihn verwirren mussten.
Am rätselhaftesten war mir, was wohl jener Charles Kent in Fernly Park gemacht haben konnte. Wieder und wieder legte ich mir die Frage vor, ohne eine befriedigende Antwort zu finden. Endlich wagte ich einen tastenden Vorstoß. Poirots Antwort kam sofort.
«Mon ami, ich glaube nicht, ich weiß.»
«Wirklich?», fragte ich ungläubig.
«Ja, wirklich. Aber Sie würden mich wohl kaum verstehen, wenn ich sagte, er sei an jenem Abend in Fernly gewesen, weil er aus Kent gebürtig ist.»
Ich starrte ihn an. «Das verstehe ich allerdings nicht», sagte ich.
«Ah», erwiderte Poirot mitleidig, «das macht nichts, ich habe aber meine kleinen Vermutungen!»
19
A ls ich am nächsten Morgen von meinen Krankenbesuchen heimfuhr, wartete Inspektor Raglan auf mich. Ich hielt, und der Inspektor trat an meinen Wagen.
«Guten Morgen, Doktor. Also, das Alibi scheint zu stimmen.»
«Das Alibi von Charles Kent?»
«Ja, die Kellnerin vom ‹Dog & Whistler›, Sally Jones, erinnerte sich gut an ihn. Griff sofort sein Foto unter fünf anderen heraus. Genau um drei viertel zehn Uhr kam er, und die Schenke liegt über eine Meile von Fernly Park entfernt. Das Mädchen erklärt, dass er eine Menge Geld bei sich trug. Außerdem überraschte es sie, dass er seine Schuhe über die Schultern gehängt trug.»
«Weigert sich der Mann immer noch, über seinen Besuch in Fernly Rechenschaft zu geben?»
«Eigensinnig wie ein Maulesel. Ich sprach heute mit Hayes in Liverpool.»
«Hercule Poirot sagte, er wisse, weshalb Charles Kent an jenem Abend dort war», bemerkte
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