Alibi
leisten, als – zu schweigen. Das ist der Anfang. Das Verlangen nach Geld wächst. Er muss mehr bekommen – immer mehr! Er ist von der Goldgrube berauscht, die sich zu seinen Füßen auftat. Er wird gierig. Und in seiner Gier schießt er über das Ziel hinaus. Man kann einen Mann bedrängen, soviel man will, doch bei einer Frau darf man nicht zu weit gehen. Denn dem Herzen der Frau entspringt die Sehnsucht nach der Wahrheit. Wie viele Gatten, die ihre Frauen betrogen, werden zu Grabe getragen und nehmen ihr Geheimnis mit! Wie viele Frauen, die ihre Männer hintergingen, zerstören ihr Leben dadurch, dass sie diesen selben Männern die Wahrheit ins Gesicht schleudern. Sie waren zu stark bedrängt worden. In einem tollkühnen Augenblick (den sie nachher bereuen werden – das ist selbstverständlich) pfeifen sie auf alle Sicherheit, verlassen den Hafen und schreien die Wahrheit heraus. So, glaube ich, war es in diesem Fall. Der Druck war zu stark. Aber das ist noch nicht alles. Dem Mann, von dem wir sprachen, drohte Entlarvung. Und er ist nicht mehr der Mann, der er – sagen wir, vor einem Jahr – war. Seine sittliche Kraft ist gebrochen. Er ist tollkühn. Er kämpft einen verzweifelten Kampf und ist bereit, jedes Mittel, das ihm in die Hand kommt, zu ergreifen, da Enthüllung für ihn Vernichtung bedeutet. Und darum – hebt er den Dolch!»
Einen Augenblick lang schwieg er. Ich kann den Eindruck seiner Worte nicht beschreiben. Es war etwas an dieser unbarmherzigen Analyse, was uns mit Angst erfüllte.
«Dann», fuhr er sanft fort, «wenn die Gefahr vorüber ist, wird er wieder er selbst, normal und liebenswürdig. Würde es wieder nötig, würde er freilich noch einmal zustoßen.»
Schließlich fuhr Caroline auf: «Sie sprechen von Ralph Paton», sagte sie. «Vielleicht haben Sie recht, vielleicht auch nicht. Sie dürfen aber einen Mann nicht verurteilen, ohne ihn angehört zu haben.»
Laut klang das Telefon. Ich ging in die Halle und nahm den Hörer ab.
«Wie?», fragte ich. «Ja, hier Doktor Sheppard.»
Ich lauschte eine Minute, vielleicht auch zwei. Dann antwortete ich kurz. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, ging ich in den Salon zurück.
«Poirot», sagte ich, «in Liverpool ist ein Mann verhaftet worden. Er heißt Charles Kent, und man glaubt, dass er der Unbekannte ist, der am Freitagabend in Fernly vorsprach. Es wird gewünscht, dass ich sofort nach Liverpool komme, um ihn zu identifizieren.»
18
E ine halbe Stunde später saßen Poirot, Inspektor Raglan und ich in dem Zug, der nach Liverpool fuhr. Der Inspektor war sichtlich aufgeregt.
«Dies wird vielleicht etwas Licht in die Erpressungsangelegenheit bringen», sagte er frohlockend. «Nach allem, was ich am Telefon hörte, soll der Kerl ein übler Bursche sein. Nimmt Betäubungsmittel. Es dürfte uns nicht schwerfallen, alles, was wir wissen wollen, von ihm zu erfahren. Wahrscheinlich ist er auch in den Mord verwickelt. Aber weshalb hält sich Paton dann verborgen? Das Ganze ist ein Wirrwarr – weiter nichts. Übrigens, Mr. Poirot, bezüglich der Fingerabdrücke hatten Sie vollkommen recht. Sie stammen von Ackroyd selbst. Ich hatte ursprünglich den gleichen Gedanken, wies ihn aber von mir, da er mir zu unwahrscheinlich vorkam.»
Ich lächelte vor mich hin. Es war so augenfällig, wie Inspektor Raglan sich mühte, den Schein zu wahren.
«Was diesen Mann betrifft», sagte Poirot, «so ist er doch nicht verhaftet?»
«Nein, nur unter Verdacht festgehalten.»
«Und wie verteidigt er sich?»
«Sehr schwach», grinste der Inspektor. «Er ist ein schlauer Vogel.»
Bei unserer Ankunft in Liverpool sah ich überrascht, mit welcher Begeisterung Poirot empfangen wurde. Chefinspektor Hayes, der uns abholte, hatte offenbar eine übertrieben hohe Meinung von seinen Fähigkeiten.
«Nun, da Poirot hier ist, wird es nicht mehr lange dauern», sagte er vergnügt. «Ich dachte, Sie hätten sich zurückgezogen, Monsieur?»
«Das ist auch richtig, mein lieber Hayes, ich hatte mich zurückgezogen. Doch wie langweilig ist so ein Ruhestand! Sie können sich nicht vorstellen, wie einförmig ein Tag nach dem anderen verstreicht!»
«Möglich! Und so kamen Sie hierher, um einen Blick auf unsere neueste Entdeckung zu tun? Ist das Doktor Sheppard? Ich hoffe, Sie werden ihn identifizieren können, Doktor?»
«Das kann ich nicht sagen», versetzte ich unsicher.
«Wie wurden Sie seiner habhaft?», fragte Poirot.
«Wie Sie wissen, war seine
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