Alibi
froh, dass es heraus ist. – Es hat die ganze Zeit über wie ein Alb auf mir gelastet.» Sie sank plötzlich zusammen und barg ihr Gesicht zwischen den Händen. Beinahe flüsternd fuhr sie fort: «Sie wissen nicht, was für ein Leben ich hatte, seit ich hierher kam. Immer Pläne schmieden, immer lügen, immer betrügen müssen, dann die einlaufenden Rechnungen und die Mahnungen, sie zu bezahlen … Oh! Ich muss mich selbst hassen, wenn ich an all dies denke. – Onkel brachte uns einander näher, Ralph und mich. Beide waren wir schwach. Ich verstand ihn, und er tat mir leid – weil ich genauso heruntergekommen war wie er. Wir sind beide nicht stark genug, um allein durchhalten zu können, wir sind schwache, verächtliche Menschen.»
Sie sah Blunt an und stampfte plötzlich mit dem Fuß. «Warum sehen Sie mich so an, als könnten Sie es nicht glauben? Ich mag eine Diebin sein – jedenfalls aber bin ich jetzt aufrichtig. Ich lüge nun nicht mehr. Ich behaupte nicht mehr, das Mädchen zu sein, das Ihnen gefallen kann, jung, schlicht und unschuldig. Es liegt mir nichts daran, wenn Sie mich nie mehr Wiedersehen wollen. Ich hasse mich, ich verachte mich – aber eines müssen Sie mir glauben: Hätte die Wahrheit Ralphs Lage verbessert, so hätte ich längst gesprochen. Ich sah aber während der ganzen Zeit, dass es Ralph nichts nützen, sondern seine Lage nur noch verschlimmern konnte.»
«Ralph», sagte Blunt. «Ich verstehe – immer wieder Ralph!»
«Sie verstehen gar nichts», rief Flora hoffnungslos. «Sie werden nie verstehen.»
Sie wandte sich an den Inspektor.
«Ich gebe alles zu. In meiner Geldnot wusste ich mir keinen Rat. Ich habe meinen Onkel nach dem Abendbrot nicht mehr gesehen. Was das Geld betrifft, so können Sie jeden Schritt unternehmen, der Sie gut dünkt. Es kann nicht schlimmer werden, als es ist.»
Plötzlich brach sie wieder zusammen, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und lief hinaus.
«So», sagte der Inspektor niedergeschlagen, «das ist es also.»
Blunt trat vor.
«Inspektor Raglan», begann er ruhig. «Mr. Ackroyd gab mir jenes Geld zu einem bestimmten Zweck. Miss Ackroyd hat es nie berührt. Wenn sie jedoch das Gegenteil behauptet, so lügt sie in der Absicht, Captain Paton zu decken. Ich bin bereit, meine Aussage zu beschwören.»
Er verneigte sich steif und wandte sich der Tür zu.
Poirot war wie ein Blitz hinter ihm her.
«Einen Augenblick, Monsieur!»
«Ja – bitte?»
Blunt war sichtlich ungeduldig.
«Ihr kleines Märchen täuscht mich nicht. Nein, wirklich nicht. Miss Ackroyd hat das Geld genommen. Nichtsdestoweniger ist das, was Sie sagten, gut erfunden – es gefällt mir. Sie sind ein Mann, der rasch denkt und rasch handelt.»
«Ihre Meinung interessiert mich wenig», entgegnete Blunt kalt.
Er wollte weitergehen, doch Poirot, der durchaus nicht beleidigt schien, hielt ihn am Arm zurück.
«Nein! Sie müssen mich anhören. Ich bin noch nicht fertig. Ich sprach neulich vom Verheimlichen. Nun, all die Zeit sah ich, was Sie verbergen wollen. Sie lieben Miss Flora. Machen Sie sich nichts daraus, dass ich es so geradeheraus sage – weshalb wird in England von Liebe nur wie von einem schmachvollen Geheimnis gesprochen? Sie lieben Miss Flora. Sie bemühen sich, dies vor aller Welt zu verbergen. Das ist richtig, so soll es auch sein. Aber hören Sie auf den Rat, den Hercule Poirot Ihnen gibt – verbergen Sie es nicht vor Flora selbst.»
Blunt hatte seine Ungeduld deutlich merken lassen, während Poirot sprach, doch bei den letzten Worten hörte er aufmerksam zu.
«Was wollen Sie damit sagen?», fragte er schroff.
«Sie denken, dass Sie Ralph Paton liebt … Doch ich, Hercule Poirot, sage Ihnen, dass das nicht stimmt! Mademoiselle Flora nahm Captain Patons Werbung an, um ihrem Onkel zu gefallen und weil sie in dieser Heirat einen Ausweg sah, ihrem jetzigen Leben zu entrinnen. Sie mochte ihn gut leiden, und sie verstanden einander. Aber Liebe – nein! Captain Paton ist nicht der Mann, den Mademoiselle liebt!»
«Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen?»
«Sie waren blind, Monsieur! Blind! Sie ist eine treue Freundin, die Kleine! Ralph Paton wird verleumdet, und sie hält es für ihre Ehrenpflicht, sich zu ihm zu bekennen.»
Ich hielt es für angebracht, dass auch ich ein Wort einfügte, um das Gelingen des guten Werkes zu fördern.
«Meine Schwester sagte erst neulich, dass Miss Flora sich nicht das Geringste aus Ralph Paton mache. Weder jetzt noch in
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