Alibi
glaubt.»
«Kein Alibi», flüsterte Raymond, «das ist schlimm. Ich natürlich glaube Ihnen, aber …»
«Aber das vereinfacht doch die Dinge sehr», sagte Poirot heiter.
«Wirklich?»
Wir starrten ihn an.
«Sie merken doch, was ich meine? Nein? Nun, eben das – um Captain Paton zu retten, muss der wirkliche Verbrecher ein Geständnis ablegen.»
Er lachte uns allen zu.
«Aber ja – ich meine, was ich sage. Sehen Sie, ich habe Inspektor Raglan heute nicht eingeladen. Das hat seinen Grund. Ich wollte ihm nicht alles mitteilen, was ich wusste, wenigstens heute Abend nicht.»
Er neigte sich vor, und plötzlich änderte er Ton und Haltung. Mit einem Male war er gefährlich.
«Ich, der ich mit Ihnen spreche, weiß, dass Mr. Ackroyds Mörder in diesem Zimmer ist. Zu ihm spreche ich jetzt. Morgen gebe ich die Nachricht an Inspektor Raglan weiter. Verstehen Sie?»
Das lastende Schweigen, das dieser Behauptung folgte, wurde durch die alte Haushälterin unterbrochen, die ein Telegramm hereinbrachte. Poirot riss es auf.
Scharf und tönend erhob sich Blunts Stimme.
«Der Mörder befindet sich in unserer Nähe, sagen Sie? Sie wissen, wer es ist?»
Poirot hatte das Telegramm gelesen. Er zerknüllte es in der Hand.
«Ich weiß es – jetzt!»
Er deutete auf den Papierballen in seiner Hand.
«Was haben Sie da?», fragte Raymond schroff.
«Ein Telegramm – von einem Dampfer, der auf dem Weg nach Amerika ist.»
Absolutes Schweigen herrschte. Poirot erhob sich, um uns zu verabschieden.
«Mesdames et Messieurs, meine kleine Gesellschaft ist zu Ende. Vergessen Sie nicht – morgen früh erfahrt Inspektor Raglan die Wahrheit.»
25
E ine leichte Handbewegung von Poirot zwang mich, hinter den anderen zurückzubleiben. Ich gehorchte, trat nachdenklich an den Kamin und bewegte die großen Scheite mit der Spitze meiner Schuhe.
Ich war bestürzt. Zum ersten Mal hatte ich keine Ahnung, was Poirot meinen mochte. Einen Augenblick lang neigte ich zu der Annahme, dass die Szene, der ich eben beigewohnt hatte, nichts als ein ungeheurer Bluff war, dass er Komödie gespielt hatte, um sich interessant und wichtig zu machen. Gegen meine Überzeugung aber sah ich mich genötigt, an eine seinen Worten zu Grunde liegende Wirklichkeit zu glauben. Wirkliche Drohung lag in seinen Worten – eine nicht wegzuleugnende drohende Offenheit! Aber noch immer glaubte ich ihn auf vollständig falscher Fährte.
Als sich die Tür hinter dem letzten Gast geschlossen hatte, trat er zu mir an den Kamin.
«Nun, mein Freund», sagte er ruhig. «Und was halten Sie davon?»
«Ich weiß nicht, was ich davon halten soll», erwiderte ich aufrichtig.
Was war seine Absicht, weshalb ging er nicht schnurstracks mit der Wahrheit zu Inspektor Raglan, statt die schuldige Person so umständlich zu warnen?
Poirot setzte sich und zog sein Zigarettenetui heraus. Schweigend sah er den Rauchwolken nach.
«Verwenden Sie Ihre kleinen grauen Zellen», sagte er dann. «Alle meine Handlungen haben einen Grund.»
«Mir scheint es», begann ich zögernd, «als wüssten Sie selbst nicht genau, wer der Schuldige ist, der sich Ihrer Überzeugung nach unter den Anwesenden befand. Folglich beabsichtigen Sie, den unbekannten Täter mit Ihren Worten zu einem – Geständnis zu zwingen.»
«Die Überlegung ist gut, stimmt aber nicht.»
«Ich glaubte, Sie wollten den Mörder herausfordern, sich selbst zu verraten; vielleicht dachten Sie, er werde es mit einem Anschlag auf Sie versuchen, um die angedrohte Enthüllung mit allen Mitteln zu verhindern …»
«Eine Falle mit mir als Köder? Danke, mon ami – dazu bin ich nicht heldenhaft genug.»
«Dann verstehe ich Sie nicht. Sie haben – vorausgesetzt, Ihre Annahme ist richtig – den Mörder gewarnt. Wenn er nun entschlüpft?»
«Er kann nicht entkommen», war die ernste Antwort. «Es gibt nur einen Ausweg für ihn – und der führt nicht in die Freiheit!»
«Und Sie glauben wirklich, dass einer Ihrer Besucher von heute Abend den Mord begangen hat?», fragte ich ungläubig.
«Ja, mein Freund.»
«Wer?»
Einige Minuten herrschte Schweigen. Dann warf Poirot seine Zigarette in das Feuer und begann ruhig und überlegend:
«Ich will Sie den Weg führen, den ich zurücklegte. Schritt für Schritt sollen Sie mich begleiten, und Sie werden sich selbst davon überzeugen, dass alles unstreitig auf eine Person weist. Zwei Tatsachen und eine kleine Ungenauigkeit in der Zeitangabe erregten sofort meine Aufmerksamkeit.
Weitere Kostenlose Bücher