Alice@Hollywood
Sekunde lebend, gerettet und voller Taubendreck im Flur der WG wieder. Über mich gebeugt erkenne ich Gretzky und einen anderen Typen, anscheinend der, den Steve damals »das Faktotum« genannt hat. Was los sei, wollen sie wissen. Warum ich aus dem Fenster raus sei und ob ich mich mit Steve gestritten hätte.
»Steve? Steve war noch gar nicht da, ihr Blödmänner !« , fauche ich sie auf Deutsch an. Da geht die Zimmertür auf, und der Schlaks ohne Badetuch betritt den Flur.
»Steve? What happened ?« , fragt Gretzky eindringlich, und mir wird klar, dass hier offenbar eine Verwechslung vorliegt. Der Musikus heißt ebenfalls Steve. Ich frage nach. Doch die WG-Freaks verweigern mir eine Erklärung, bis ich vom Taubendreck befreit bin. Nach einer ausgiebigen Dusche sitze ich eine halbe Stunde später mit Gretzky und dem Faktotum in der Küche. Performance-Steve ist gegangen, er hat einen Auftritt in "einem Gayclub in Little Italy. Während ich an einem Baldriantee nippe, den der Möchtegern-Eishockeyprofi mir vorsorglich gemacht hat, erfahre ich, dass »mein« Steve, Steve Miller, ausgezogen ist. Das gibt's doch gar nicht. Ausgezogen? Nicht mehr hier? Die Gesichter mir gegenüber verschwimmen. Ein penetranter Tinnitus verhindert klare Gedankengänge. Die Anschrift stimmt, die Mitbewohner - mit Ausnahme des Pimmel-Pianisten - kenne ich aus Steves Beschreibung. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir, dass ich mich auch nicht in der Stadt geirrt habe. Ich warte verzweifelt darauf, dass in der nächsten Sekunde die Tür des Küchenschranks auffliegt und Steve wie Jack-in-the-Box herausspringt. Klatsch!
Das Faktotum verpasst mir eine Ohrfeige und verhindert damit eine wohlverdiente Ohnmacht. Ein Schokoriegel kämpft gegen meine Unterzuckerung und lässt mich allmählich zur Besinnung kommen. Fakt ist also erstens: Steve ist tatsächlich ausgezogen, ohne mir etwas davon zu sagen. Und zweitens: Dieser grenzdebile Mitbewohner hat mir gerade eine gescheuert. Das kriegt der wieder! Doch zunächst muss Agent Alice noch ein paar Details herausfinden. Mein feiner Lover, so erfahre ich von dem Eishockeyfan, der sich inzwischen gelangweilt die Fingernägel mit seinem Leatherman schneidet, ist seit knappen zwei Wochen weg.
»Und er schuldet uns noch 80 Dollar von der letzten Miete. Hast du was flüssig ?«
Ich ignoriere seine Schnorrerei und bohre weiter. Großartige Privatgespräche scheint es aber in der WG nie gegeben zu haben. Keiner weiß, wohin Steve sich verdrückt hat oder wie er jetzt zu erreichen ist. Nur, dass er noch am Leben war, als er die Wohnung verlassen hat, darauf können sich das Faktotum und Gretzky einigen. Der Typ mit wirrem Haar schlurft zum Kühlschrank, um sich ein Stück kalter Peperoni-Pizza von letzter Woche zu holen. Plötzlich scheint ihm etwas einzufallen. Er guckt wie ein Pavian, der gerade die richtige Taste für Futterzufuhr gedrückt hat. Das Faktotum zupft unter einem klebrigen Kühlschrankmagneten in Form einer Brustwarze einen Briefumschlag hervor. Adressiert an Steve, doch der Inhalt ist bereits entfernt worden. Er reicht mir das Kuvert.
»Der Brief ist weg !« , kommentiert er lapidar. Ein Stück Peperoni gleitet aus seiner Backentasche und sackt missmutig zu Boden. Ich inspiziere den Umschlag. Der Absender ist die Universität von Kalifornien in Los Angeles.
»Stimmt !« , fällt es Gretzky wieder ein. »Der wollte in L. A. weiterstudieren. Da ist der dann wohl auch hin. Hat sich sowieso so merkwürdig verhalten. Immer aufgeräumt, wie ein Mädchen.«
Ich erfahre noch, dass Steve hier vergeblich einen Putzplan einführen wollte und dass er mehrmals in letzter Sekunde weiße T-Shirts vor dem Waschgang mit Buntem gerettet hat.
Damit ist der Strom der weiterführenden Informationen auch schon versiegt. Als der Freak die Pizzareste mit einem Schluck Milch direkt aus der Tüte nachspült, fällt ihm noch ein, dass Steves Eltern aus Wisconsin kommen. Der Staat, der für seine Molkereiprodukte berühmt ist. Gretzky kann sich an Dauerkarten für ein Footballteam erinnern, die Steves Eltern angeblich besitzen, und dass sie irgendwo im Norden des Staates wohnen.
»Grobe Rostbratwurst !« , sagt er, und ich habe keine Ahnung, was er damit meint. »Die wohnen bei Sheboygan !«
Weiter zu insistieren wäre vergeudete Zeit, beschließe ich. Der Taubendreck ist halbwegs gut aus meinen Klamotten rausgegangen, und die alte Gasheizung in der Küche hat sie mittlerweile auch fast getrocknet. Die Schluffis
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