Alice@Hollywood
Gretzky scheint davon nichts zu bemerken. Er öffnet eine Zimmertür. Sein schiefer Mund erklärt mir, dass Steve gerade unten beim Kiosk ist, um ein paar Zeitschriften zu holen. Er müsse aber jeden Augenblick wieder da sein. So lange könne ich in seinem Zimmer warten. Wer ich bin, scheint ihn nicht zu interessieren, denn er schließt wortlos hinter mir die Zimmertür und lässt mich ins Steves Behausung zurück. Die Bude ist einigermaßen aufgeräumt. Der Kontrast zum Chaos im Vorraum lässt es zumindest recht ordentlich wirken. Ich kapiere gar nicht, wie Steve es außerhalb seiner vier Wände in dieser Wohnung aushalten kann. Außer einem akkurat gemachten Bett, einem windschiefen Kleiderschrank und einem Schreibtisch, auf dem sich ein Notizheft mit Kuli befindet, ist das Zimmer leer. Kein Regal, keine Bücher, keine Blumen, keine Poster, keine Packung Kondome unter dem Kopfkissen, wie ich nach geübtem Tasten erleichtert feststelle. Steve hat immer gesagt, dass die WG in New York nur eine Art Zwischenstopp für ihn sei. Aber wenn ich mich in diesem »Motelzimmer« umschaue, habe ich den Eindruck, dass sein Privatleben bereits weitergereist ist. Ich setze mich auf das Bett. Die Sprungfedern geben nach. Sie quietschen ermahnend. Unbemerkt können wir es hier mir Sicherheit nicht treiben.
Die Schmetterlinge in meinem Bauch veranstalten gerade eine Riesenparty. Wenn das so weitergeht, werde ich kollabieren, sobald Steve das Zimmer betritt. Ich schaue gebannt auf die Tür. Erst jetzt fällt mir auf, dass daneben eine Flagge an der Wand hängt. Grün-weiß-rot-gestreift. Italien. Oder Iran. Was ist, wenn Steve mir in Deutschland ein komplettes Märchen erzählt hat? Er ist gar kein Student. Er hat auch keine Family in Wisconsin. Er war niemals in Disneyworld, und Günther Grass hält er für einen Drogendealer. Steve könnte genauso gut ein Schläfer sein. Ein Terrorist, Sympathisant einer arabischen Untergrundorganisation, der hier eine Scheinexistenz führt, um irgendwann, wenn in den NB C-Nachrichten der Satz »The green door is open« fällt, zuzuschlagen. Dieses Zimmer sieht wirklich nicht nach einer Studentenbude aus. Es hat tatsächlich mehr etwas von einem konspirativen Treffpunkt. Ich versuche, diese blöden Gedanken loszuwerden, indem ich mir sanft mit der Handfläche auf den Kopf schlage. Es hilft nichts. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmt. Und was ist das? Unter dem Bett stößt mein Fuß an einen kleinen Koffer. Ein längliches Etui. Zirka einen Meter lang und zwanzig Zentimeter tief. Ein kleines Maschinengewehr hätte darin locker Platz. Als würde ich mit der Fußspitze nach einer Coladose angeln, gebe ich dem Köfferchen immer wieder ein paar sanfte Kicks, bis es schließlich, was für ein Zufall, unter dem Bett hervorrutscht und vor meinen Füßen liegt. Ich habe Gänsehaut. Doch die Versuchung ist zu groß. Dreimal tief durchatmen. Beherzt hieve ich die Lederschatulle auf meine Knie. Klick-klack. Die beiden Schnappverschlusse springen auf. Einen Millimeter lüfte ich den Deckel, in der festen Überzeugung, dass jede Sekunde ein Sprengsatz detonieren wird. Ich halte den Atem flach. Noch ein kontrollierender Blick zur Zimmertür und dann -
»Hey, what are you doing here?«
Ein hagerer Typ Anfang fünfzig mit langen dunkelblonden Haaren und lediglich mit einem Badetuch bekleidet, betritt den Raum. Er schließt die Tür hinter sich. Der Spargel baut sich vor mir auf. Ich versuche ihm zu erklären, dass ich hier warte und auf keinen Fall vom CIA, FBI, BND oder der AOK wäre. Meine Ausführungen scheinen ihn absolut nicht zu interessieren. Vielmehr widmet er sich sofort dem Koffer auf meinem Schoß. Kurz versuche ich noch, das Schnappschloss zuklicken zu lassen, da hat Mr. Badetuch seine Finger auch schon unter den Deckel geschoben. Energisch öffnet er das Köfferchen.
»You play the piano ?« , fragt er, als er ein kleines Keyboard aus der Kiste zaubert. Erleichtert, dass es sich dabei nicht um etwas handelt, das auf ein bevorstehendes Massaker hindeutet, schüttle ich mit dem Kopf. Das Bett fängt mich quietschend auf, als ich nach hinten sinke. Der Typ grinst unverschämt. Er stellt das kleine Klavier auf den Schreibtisch und wuchtet ein Kabel in die Steckdose. Dabei scheint ihm völlig zu entgehen, dass sich sein Badetuch selbständig gemacht hat und inzwischen seine Knöchel umschmeichelt. Er beugt sich über den Schreibtisch, um ein weiteres Kabel anzuschließen,
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