Alice@Hollywood
an diesen Tagen in Ruths Nähe bin. Im Taxi nach Soho denke ich über meinen eigenen Zyklus nach und bin ziemlich froh darüber, dass mich nur selten solche Stimmungsschwankungen ereilen. Das Einzige, was mich jedes Mal komplett fertig macht, ist, wenn meine Regel ausbleibt. Zuletzt nach dem Invalidensex mit Steve in Holland. Er war gerade ein paar Tage wieder zurück in Amerika, als mich der Verdacht ereilte, ich könnte schwanger sein. Im ersten Moment war ich fast euphorisch bei dem Gedanken. Ich kramte einen alten Baby-Walz Katalog aus meiner »Das-heb-ich-mal-auf-wegschmeißen-kann-ich-es-immer-noch«-Schublade und fing an, ein paar süße Strampler auszusuchen. Dazu Spieluhr mit Lalelu-Melodie sowie ein schreirosa Bobbycar. So eines, wie ich es als Kind nie haben durfte. Doch mein Enthusiasmus verflog ziemlich schnell, als mir bei dem Gedanken an Heißhunger auf Rosenkohl mit angebratenen Speckwürfeln speiübel wurde. Wahrscheinlich würde Steve mich hängen lassen, wenn er von seinem Vaterglück erführe, dachte ich. Ich würde mein Leben als allein erziehende Mutter fristen müssen. Irgendwann würde mich mein Kind nach Daddy fragen. Mit zitternden Fingern würde ich ein vergilbtes Schwarzweißfoto aus einer speckigen Ledermappe ziehen und sagen: »Dein Dad war hier bei der Army. Doch seine Einheit ist verlegt worden. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er und seine komplette Staffel wurden damals über Macho-Grande abgeschossen. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Aber eins ist sicher: Durch seinen Einsatz hat er Hunderten von GIs das Leben gerettet !«
Während ich noch weiter an der Legende meines Helden bastelte, bekam ich Unterleibsschmerzen und meine Tage. Mit zweiundsiebzigstündiger Verspätung, aber immerhin. Irgendwann werde ich Steve von seinem heldenhaften Einsatz als Air-Force-Pilot erzählen.
Das Taxi hält vor dem Backsteinbau in Soho. Der pakistanische Fahrer versteht natürlich kein Wort Englisch. Dafür kann er auch nicht auf zwanzig Dollar herausgeben. Ich lasse ihm also großzügig sechs Dollar Trinkgeld. Eines Tages wird sich das schon wieder ausgleichen. Spätestens, wenn ich mal in Karatschi und etwas klamm bin.
Diesmal empfängt mich niemand mit einem Steve-Miller-Song, als ich den Hausflur betrete. Fast routiniert gehe ich nach oben, mit dem Gefühl, ich wohnte hier und käme gerade vom Einkaufen. Witziger Gedanke. Es ist bestimmt spannend, mal in das Alltagsleben dieser Stadt einzutauchen, in der man als Tourist sonst immer nur auf den Kämmen ihrer beeindruckenden Wellen treibt. Mal sehen. Vielleicht kann ich das ja tatsächlich eine Weile machen. Ich könnte mit den Mädels noch die geplanten drei Wochen Urlaub durchziehen und dann einfach nicht mit zurückfliegen. Ich werde ein Fax an meinen Chef schicken: >Alice ist in New York erkrankt. Ihre Krankheit hat einen unaussprechlichen Namen, aber sicher ist, dass sie transportunfähig ist. Bis auf Weiteres wird Alice in Amerika bleiben. Bitte informieren Sie ihre Krankenkassen Vielleicht kann ich auf diese Weise ein paar Monate Zeit herausschinden. Ich werde hier in Manhattan wohnen. Steve wird zur Uni gehen und ich in der Cafeteria jobben. So habe ich mein eigenes Geld, kann ihn immer mittags sehen und ihm unbemerkt das größte Steak und eine extra Portion French Fries auf den Teller schummeln. Das könnte mir gefallen.
»May I help you ?« , grinst mich ein dicklicher Vierzigjähriger mit fettigen Haaren, Zahnlücke und einem Eishockeyshirt der Edmonton Oilers an. Seine verquollenen Augen lugen durch einen Türspalt von Steves Wohnung. Das muss einer der Mitbewohner sein.
»Gretzky ?« , frage ich zögerlich, und als er nickt, ergänze ich: »Is Steve here?«
Er nickt noch einmal. Die abgeblätterte Tür wird für mich geöffnet. Zunächst fallen mir die vielen Schlösser daran auf, dann die Berge von Unrat, die sich im Flur der Wohnung angesammelt haben. Steve hatte mir zwar erzählt, dass seine Freunde nicht zur Sagrotan-Fraktion gehören, aber sein Leben auf der Sondermülldeponie hat er mir verschwiegen. Mit dem linken Fuß, der offenbar schon seit Wochen in derselben löchrigen Socke steckt, kickt Gretzky einen Stapel Playboy-Magazine beiseite. Dabei gerät ein weiterer Stapel von Heftchen, die höchstwahrscheinlich als Anschauungsmaterial für durchreisende Gynäkologen dienen, ins Wanken. Ein übervolles Katzenklo kracht zu Boden. Ein feine Staubwolke scharf riechender Streu breitet sich im Flur aus.
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