Alice Baker: Mein Leben in der Aryan Brotherhood
auch in der Kantine essen, dann ist der Fraß meistens genießbar. in San Quentin war das nicht der Fall.
Der Nachmittag verlief genau wie der Vormittag: Arbeit, Sport oder Freizeit. Um fünf Uhr trafen sich alle Gefangenen, die nicht in ihren Zellen waren, auf dem Hof und warteten auf das Abendbrot. Hier erfuhr man den neusten Klatsch, Gerüchte und Informationen.
Um sechs Uhr ertönte das Signal für das Abendessen, und hier war es genauso, wie beim Mittagessen. Wer es sich leisten konnte, Lebensmittel im Büro der Gefängnisleitung zu kaufen, der sollte besser verzichten.
Abends lag man in seiner Zelle und machte das, was man machen konnte. Lesen, zeichnen, reden, rauchen, was auch immer. Um acht Uhr gab es dann die letzte offizielle Zählung. Zwei wurden später um Mitternacht und um vier Uhr morgens durchgeführt, aber da musste man nicht mehr wach sein. Die Zählung wurde leise, aber mit Taschenlampen durchgeführt.
Nachts war der Zellenblock still, bis auf das Schnarchen und die Geräusche, die Männer im Schlaf so von sich geben. Doch einige Gefangene, die nicht schlafen konnten, beteten zu Gott, Allah oder zu was weiss ich wem. Andere schrieen, geplagt von den Schrecken ihrer Träume oder ihrer Zellengenossen. Das Schlimmste waren die Klagelaute der Männer, die ihre Kindern vermissen.
An einigen Tagen mussten Schwerverbrecher wie ich ein psychologisches Programm absolvieren. Man brachte uns fotokopierte Unterlagen, die wir lesen und schriftlich beantworten mussten. Passen Sie jetzt genau auf, das wird Sie amüsieren. Es ging dabei um Stoff, den Sokrates persönlich geschrieben haben musste. Verbrechen und Selbstmord waren Themen dieser Unterlagen. Im Grunde ging es darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, was besser wäre: Selbstmord oder ein Verbrechen zu begehen. Die korrekte Antwort darauf ist natürlich, dass es besser ist zu sterben, als das Gesetz zu brechen. Das war alles Blödsinn, verstehen Sie? Ich gab immer genau die Antworten, die die Psychotypen hören wollten, und dann waren sie zufrieden. Eine Aufgabe war folgende:
Marrie ist eine Prostituierte mit zwei Kindern. Eines Tages muss sie feststellen, dass man ihr Auto gestohlen hat. Aber Marrie muss ihre Kinder jeden Tag mit dem Wagen zur Schule bringen. Was sollte Marrie ihrer Meinung nach tun?
Selbstverständlich war die korrekte Antwort, dass Marrie einen vernünftigen Job finden sollte, um Geld für ein neues Auto zu sparen. Oder vielleicht sollte sie sich Geld von einem Freund oder Verwandten leihen.
Aber ganz ehrlich? Marrie ist eine Nutte, sie wird schon wissen, wie sie schnell an Geld kommt.
Das zu wissen ist eine Sache. Das Übel daran war nur, dass einem die Bewährungschancen verwehrt wurden, wenn man an diesen Tests nicht teilnahm.
Nach zwei Monaten ließ ich mir dann einen Job in der Küche geben, an der Essensausgabe. Wir hatten einen Cop, der uns währenddessen beaufsichtigte, und sein Name war Mister Vanderbilt. Er war einer dieser religiösen Eiferer, die ständig Bibelzitate von sich geben und einen dann imgleichen Atemzug zur Hölle wünschen. Ein ganz feiner Kerl.
Nach kurzer Zeit wurde ich „befördert“ und durfte nun das Essen selbst kochen – ich war also Koch geworden. Aber ehrlicher Weise muss ich sagen, dass ich einfach nicht aus meiner Haut konnte.
Ich sah meine Chance gekommen und klaute wie ein Rabe. Jedes Stück Lebensmittel verkaufte ich zu Höchstpreisen an meine Mitgefangenen, um mir von dem Geld hochwertiges Zeug aus dem Laden der Gefängnisleitung zu kaufen oder es dagegen einzutauschen. Ein Stück gebratenes Huhn wurde man für zwei große Dosen Nudeln, Kekse und Süßigkeiten wurde ich für fünf Dosen Nudeln los. Süßigkeiten konnte ich an den Meistbietenden verscherbeln. Genau genommen hatte alles in der Küche, was nicht festgeschraubt war, einen Gegenwert und würde einen Abnehmer finden.
Allerdings sollte Mister Vanderbilt schnell Wind von der Sache bekommen, und er hatte ein Auge auf mich geworfen. Irgendwann verlor ich den Job wieder. In dieser Zeit hatte ich verschiedene Schließer beobachtet, die sich ihre Mahlzeiten in der Gefängniskantine abholten. Normaler Weise mussten sie als Preis dafür einen Gutschein, den sie von der Knastleitung bekamen, in eine durchsichtige Plastikbox werfen. Wenn die Bullen also in die Küche kamen, um sich ihr Essen zu holen, stellte ich mich so an den Herd, dass ich diese Box im Auge hatte und sehen konnte, wer seinen Gutschein gelöst hatte und
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