Alice Baker: Mein Leben in der Aryan Brotherhood
wer einfach nur die Hand über die Box bewegte.
Ich mag vielleicht ein Dieb sein und ich halte Raubüberfälle nicht für falsch; und das werde ich auch nie. Wenn ich mir Geld nehmen will, dann nehme ich es mir. Und wenn man mich dann verhaftet und einsperrt, dann jammere ich darüber nicht. Aber kommen Sie nicht auf die Idee, mir zu erzählen, dass ich etwas Falsches getan habe, und dass ich keinen Anstand habe. Keinen Anstandhat man, wenn man behauptet, ein gesetzestreuer Bürger zu sein und dann jeden Tag in meine Küche kommt und isst, ohne dafür zu bezahlen. Den Staat um zwei Dollar zu bescheißen – das ist anstandslos, verstehen Sie?
Ich ließ mir also einen neuen Job geben und wurde Pförtner auf der fünften Etage. Die Fünfte war der Hochsicherheitstrakt und hier sollte ich zum ersten mal Gangmitglieder der Aryan Brotherhood und der Mexican Mafia kennenlernen. Das waren John und Ricky von der Bruderschaft und Topo Peters von „La eMe“, wie die mexikanische Mafia auch genannt wurde. Die Jungs waren alle Berufsverbrecher und Killer im Alter von 30 bis 40, also mindestens ein Jahrzehnt älter als ich. John Stinson von der Aryan Brotherhood sollte mein Mentor in Quentin werden. Er brachte mir alles bei, was mich hier am Überleben hielt. Er war mein absolutes Vorbild und irgendwie auch ein Vaterersatz für mich.
VORBILDER
Nach kurzer Zeit hatte ich den ganzen Laden im Blick. Auf jeder Etage gab es ein illegal betriebenes Geschäft, in dem man alles kaufen konnte, was man im offiziellen Laden der Gefängnisleitung nicht bekam. Softdrinks, Zigaretten, Chips und Süßigkeiten, Obst, Pornohefte und sogar Jogginganzüge. Eigentlich war es uns verboten, solche Dinge in unseren Zellen zu horten, aber die Wachen drückten ein Auge zu oder wurden bestochen. Das beste an diesen Geschäften war aber, dass man, anders als bei der Knastleitung, soviel kaufen konnte, wie man wollte. Außerdem hatten sie 24 Stunden am Tag auf und es gab dort Kredit. Die Zinsen beliefen sich zwar auf 100 Prozent, aber was soll’s?
Die meisten Läden arbeiteten für irgendeine Gang, die das Geld und die Muskeln für die Sicherheit des Geschäftes aufbrachte. Der Betreiber nahm das Risiko auf sich, erwischt und in Einzelhaft verlegt zu werden.
Darüber hinaus gab es die Drogendealer und die Zuhälter, die ihrerseits entweder Gangmitglieder waren oder für diese arbeiteten. Eine Homonutte im Knast kostet etwa eine Schachtel Zigaretten pro Fick – nur falls es dich interessiert.
John und die Bruderschaft gaben mir das Gefühl von relativer Sicherheit in meiner Umgebung. Mit der Zeit brachte er mir alles über die Gang bei, und ich als Pförtner nutzte mein Recht, zu kommen und zu gehen, wann ichwollte. Ich fing also an, für die Aryan Brotherhood zu arbeiten. Ich überbrachte Nachrichten von einer Zelle zur nächsten und verteilte Drogen zwischen den Häftlingen. Täglich gab es gewaltsame Auseinandersetzungen und ich war derjenige, der der Bruderschaft Waffen in ihre Zellen brachte. John war ein Held für mich und wir hatten eine Art Vater-Sohn-Verhältnis. Einmal erzählte er mir, dass es in der Namensgebung der Wikinger üblich war, den Vornamen des Vaters mit einem „son“ am Ende zu versehen und ihn dem Sohn als Nachnamen zu geben. Als er merkte, dass mir der Zusammenhang erst nach und nach klar wurde, lachte er laut und schlug mir kumpelhaft auf den Rücken.
Die Gewalt in San Quentin war damals so wild, dass allein im Jahr 1982 drei Insassen ermordet wurden und etwa 90 schwer verletzt worden sind, sei es durch Messerstechereien oder Faustkämpfe. Ich danke Dex und John für alles, was ich von ihnen lernen konnte, denn ansonsten wäre es in diesem Haifischbecken sehr schwer für mich geworden. Mein Zellennachbar beispielsweise wurde ermordet, weil er behauptet hatte, jemanden ermordet zu haben, der in Wahrheit das Opfer der Mexican Mafia geworden war. Seine Mörder, Cuate Grajeda und Serious Steve, hatten während ihrer Tat eine Meinungsverschiedenheit über die Härte des Angriffs. Steve wollte Cuate zurückhalten, weil es „genug wäre“. Böser Fehler von Steve, und so endete er auch mit einem Messer im Herzen. Ein weißer Junge von der dritten Etage wurde erstochen, weil er der Bruderschaft Drogen gestohlen hatte. Ein anderer wurde tot aufgefunden, nachdem er sich lauthals über die Schutzgebühren, die er an die Aryan Brotherhood entrichten musste aufgeregt hatte. Respekt ist und bleibt nun mal alles. Und das ist in
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