Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
fast der Chefposten. Nicht in ihren kühnsten Träumen – und Alice’ Träume konnten beizeiten sehr kühn sein – hätte sie sich ausgemalt, einmal eine leitende Funktion innezuhaben. Das war unglaublich! »Das ist …« – sie konnte ihr Glück kaum fassen und grinste wie ein Honigkuchenpferd – »… wirklich sehr großzügig von Ihnen.«
»Ich bin kein großzügiger Mensch. Ich bin Geschäftsfrau. Sie sind wertvolles Kapital, und ich brauche eine fähige rechte Hand, die sich um meine Klienten kümmert, während ich mich auf die Ausweitung unseres Webservices konzentriere. Online-Dating boomt wie noch nie, und dieses Geschäft werde ich mir nicht entgehen lassen. Also …« – Sheryls Brüste beugten sich zu Alice vor – »unter uns Geschäftsfrauen, was sagen Sie zu meinem Angebot?«
Alice schwirrte der Kopf. Geschäftsfrau? Noch nie hatte sie sich selbst in diesem Licht gesehen. Könnte sie das? Könnte sie für Sheryl arbeiten und eine … Top-Partnervermittlerin werden?
»Ähm, vielen Dank, Ms Toogood«, murmelte sie ganz benommen. »Danke, dass Sie solches Vertrauen in mich setzen.«
»Mit Vertrauen hat das nichts zu tun«, entgegnete Sheryl trocken und nahm ihre Kaffeetasse. »Sie bringen mir Klienten und Geld.« Sie nippte an ihrem Caffè, den Blick fest auf Alice geheftet.
»Und was ist mit Audrey?«, fragte Alice, und mit einem lauten Ping zerplatzte ihre kleine Seifenblase. »Die kann ich doch nicht einfach im Regen stehen lassen. Sie hat mir als Erste eine richtige Chance gegeben und mir einen Job als Partnervermittlerin angeboten. Das kann ich ihr doch nicht so vergelten! Außerdem würde sie niemals zulassen, dass ich meine Klienten mitnehme … und ich kann sie unmöglich bestehlen.«
Sie hörte Sheryl auf der anderen Seite des Tischs abfällig mit der Zunge schnalzen, während sie die übergeschlagenen Beine mit einem knisternden Rascheln ihrer Nylonstrumpfhose nebeneinanderstellte.
»Das sind nicht Audreys Klienten, das sind Ihre! Sie wechseln die Agentur, und die Klienten folgen Ihnen. Die wollen doch nicht bei einer alten vertrockneten Schabracke wie Audrey versauern. Würden Sie der Ihr Liebesglück anvertrauen? Glauben Sie mir, diese Leute werden Ihnen hinterherlaufen wie Lemminge, die von einer Klippe springen!«
»Aber das sind Menschen mit einem Leben, mit Träumen und Hoffnungen!«, wandte Alice ein. »Und nicht irgendwelche Gegenstände, die man hin und her schiebt, wie es einem gerade passt. Und ich würde Audrey niemals von heute auf morgen sitzen lassen. Ich muss ihr früh genug Bescheid geben, damit sie sich um alles kümmern kann – ein paar Wochen, wenn nicht Monate.« Alice sah, wie Sheryl mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck den Kopf schüttelte. »Audrey hasst es, Vorstellungsgespräche zu führen und neue Leute einzustellen«, erklärte sie. »Es würde Wochen und Monate dauern, bis sie jemand Neues gefunden hätte. Bis dahin wäre es zu spät. Eine Menge aufblühender Romanzen würden im Keim erstickt. Meine Klienten würden glauben, sie müssten ihr ganzes Leben lang Single bleiben. Und Audrey hätte die ganze zusätzliche Arbeit am Hals.«
Sheryl verdrehte die Augen.
»Audrey ist unverwüstlich. Wie eine Kakerlake.«
»Ich muss ihr mindestens sechs Monate vorher Bescheid geben. Alles andere wäre nicht fair.«
»Ach, Alice, Sie sind wirklich herzallerliebst!« Sheryl lachte dünn. »Aber das richtige Leben ist nun mal nicht fair. Meistens ist es fies und gemein. Und manchmal klauen die großen Kinder den kleinen Kindern die Süßigkeiten.«
Alice wurde rot, senkte den Blick und schaute in ihre Kaffeetasse. »Es wäre das einzig Richtige«, sagte sie leise.
»Das Richtige!« Entnervt schlug Sheryl die Hände über dem Kopf zusammen. »Als Nächstes erzählen Sie mir noch, Sie bringen Paare zusammen, damit sie sich ineinander verlieben!«
»Aber natürlich! Darum geht es doch, oder etwa nicht?«, gab Alice erstaunt zurück.
Sheryl unterdrückte ein kleines, harsches Lächeln.
»Ach, Alice, Schäääääätzchen, das mit der Liebe ist doch zweitrangig . Ein glücklicher Zufall, wenn überhaupt. Wir alle – ich, Audrey, sogar Sie selbst, obwohl Sie es wohl noch nicht ganz verstanden haben – machen das doch vornehmlich, um damit Geld zu verdienen, dann erst kommt die eigentliche Vermittlung. Was hat man davon, der weltbeste Amor zu sein, wenn man seine Hypothekenraten nicht bezahlen kann? Wir machen das nicht aus Güte und
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