Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
Menschenfreundlichkeit; das ganze Liebesgetue ist doch nur Schaufensterdeko. Wir sind in diesem Geschäft, um Profit zu machen. Keiner bringt absichtlich zwei Menschen zusammen, die wirklich zueinander passen, ohne ihnen vorher den Mitgliedsbeitrag für mindestens ein halbes Jahr aus der Tasche geleiert zu haben. Es wäre finanzieller Schiffbruch, zu früh für das Happy End zu sorgen.«
Fassungslos starrte Alice Sheryl an. Sie traute ihren Ohren kaum. Eigentlich versuchten Partnervermittlungsagenturen doch, Menschen dabei zu helfen, die Liebe fürs Leben zu finden, oder etwa nicht? Darum ging es doch! Menschen zusammenzubringen, die überhaupt nicht zusammenpassten, nur um ihnen den Mitgliedsbeitrag aus der Tasche zu ziehen, war geradezu skandalös. Schon allein beim Gedanken daran fühlte sie sich beschmutzt.
»Audrey macht so was nicht«, erklärte Alice sehr bestimmt.
»Ach nein?«, stichelte Sheryl.
»Natürlich nicht!« Alice war schon allein von der Vorstellung völlig entsetzt. »Das würde sie niemals tun! Außerdem weiß jeder, dass ihre ersten fünf Paare so gut zusammenpassten, dass sie alle geheiratet haben.«
Sheryl grinste höhnisch.
»Und jeder weiß auch, dass drei von ihnen sich schon vorher kannten und alle fünf inzwischen geschieden sind.«
Schockiert schnappte Alice nach Luft. Sie waren schon miteinander bekannt? Und inzwischen geschieden ? Unmöglich! Das hatte Audrey mit keinem Wort erwähnt. Aber andererseits, würde sie das ihren Angestellten auf die Nase binden? Auf das böse S-Wort reagierte sie ohnehin immer ein bisschen seltsam, weshalb niemand im Büro es mehr laut auszusprechen wagte.
»Und außerdem«, sagte Sheryl und rührte mit einem schelmischen Grinsen in ihrem Kaffee, »war Audrey seitdem nicht besonders erfolgreich, oder? Damals war sie noch ein Grünschnabel. Ich wette, heutzutage bringt sie die Leute nicht mal mehr ansatzweise so schnell zusammen, ja, ich würde sogar darauf wetten, dass sie kaum noch Paare zusammenbringt, die eine gemeinsame Zukunft haben.«
Alice machte schon den Mund auf, um Audrey zu verteidigen, doch dann schloss sie ihn ganz langsam wieder. Es stimmte tatsächlich, Audreys Vermittlungen gingen über kurz oder lang alle in die Brüche. Und die meisten Klienten auf ihrer Liste gab es schon ewig. Aber Alice hatte immer vermutet, das liege daran, dass Audrey keine besonders gute Menschenkennerin war, und keineswegs daran, dass irgendwas faul war an der Sache. Dann musste sie an Max Higgert denken, der sich ausdrücklich eine unprätentiöse Frau wünschte, während Audrey ihn ein ums andere Mal mit dem genauen Gegenteil verkuppeln wollte.
Sheryl seufzte und sprach mit sanfter Stimme weiter.
»Hören Sie, Alice. Es ist ganz großartig, dass Sie so hehre Ideale haben und tatsächlich daran glauben, dass Ihr Beruf auch Ihre Berufung ist. So viel Idealismus kommt mir gerade recht. Sie kümmern sich um die Träume, und ich kümmere mich um das Bankkonto. Zusammen ergeben wir genau das, was ich suche.«
Zitternd stellte Alice ihre Kaffeetasse ab.
»Ich glaube nicht, dass ich die Richtige für Sie bin«, entgegnete sie leise.
»Unsinn.« Entschlossen warf Sheryl ihr lockiges Haar in den Nacken. »Jetzt hören Sie mir mal genau zu, Alice. Ich bin gewohnt, dass ich bekomme, was ich will, und jetzt will ich, dass Sie in spätestens zwei Wochen bei Love Birds anfangen. Allein Audreys dummes Gesicht wäre schon unbezahlbar.«
Alice wollte etwas einwenden, aber Sheryl redete einfach weiter.
»Hören Sie, Sie können sich hinter Ihren Moralvorstellungen verstecken, solange Sie wollen, aber wann haben Sie von der alten Schabracke das letzte Mal eine Gehaltserhöhung bekommen? Jeder weiß doch, dass Alice ihre Leute an der kurzen Leine hält. Ich dagegen biete Ihnen eine hundertprozentige Lohnerhöhung und die Gelegenheit, zu meiner Nummer zwei aufzusteigen! Love Birds wächst rasant; wir haben eine große Zukunft. Audreys Agentur ist ein Dinosaurier; früher oder später wird sie aussterben.«
Und damit griff sie nach Mantel und Handtasche.
»Ich muss erst darüber nachdenken«, sagte Alice verunsichert halb zu sich selbst. Der ganze Raum schien sich zu drehen. Die ganze Welt schien sich zu drehen.
Sheryl erhob sich. Auf ihren spitzen Stilettos baute sie sich drohend vor Alice auf.
»Sie können gerne darüber nachdenken, aber wagen Sie es nicht, Nein zu sagen, junges Fräulein. Angebote wie dieses fallen nicht vom Himmel. Man muss zugreifen, wenn sich
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