Alice Browns Gespuer fuer die Liebe
sehen war, und die Lippen waren viel zu dünn und zu verkniffen, als dass sie jemand würde küssen wollen.
So ist das also, dachte sie. Das bin ich. Plötzlich drohte es sie zu überwältigen. Vor der Frau im Spiegel gab es kein Entkommen. Das war sie, Audrey Bridget Cracknell. Einundfünfzig Jahre alt, 80 Kilo; ein Arbeitstier, eiserner Wille gekleidet in Stützmieder. Konnte man mit diesem Körper ein silbernes Kleid tragen? Konnte man mit diesem Körper Männer bezirzen, damit sie schützend für einen in die Bresche sprangen? Kein Wunder, dass John sich aus dem Staub gemacht hatte. Er konnte jede Frau haben, die er wollte. Warum sollte er sich da ausgerechnet für sie entscheiden?
Pickles auf dem Bett reckte sich kurz, gähnte, leckte sich die Pfoten und schlief wieder ein.
Vor dem Spiegel formte sich in Audreys Augenwinkel eine kleine schimmernde Träne. Irgendwann viel später, als schließlich die kühle Nachtluft ihr Elend durchdrang, zog sie ihr Nachthemd an und ging ins Bett.
Kate
K ate war überpünktlich, als sie das Café betrat und sich an einen Ecktisch setzte. Es war beinahe Viertel vor vier nachmittags, und in dem Laden wimmelte es nur so von Eltern, die ihre Kinder gerade von der Schule abgeholt hatten und ihnen nun zur Feier des Tages ein Stückchen Kuchen spendierten. Kleine, aufgeregte Gesichter ließen mit ihrem feuchtwarmen Atem die Scheiben der Kuchentheke beschlagen, während sie mit der Entscheidung rangen, für welche der klebrigen Köstlichkeiten sie sich entscheiden sollten. Kate musste lächeln angesichts dieser süßen Qual der Wahl; wie penibel die Kleinen doch glasierte Donuts gegen Schokoladeneclairs aufwogen.
»Ich muss mich beeilen«, ermahnte sie sich streng.
Es war nicht so, dass sie ihre biologische Uhr nur in solchen Momenten ticken hörte; vielmehr war es eine unaufhaltsam aufsteigende Panik, die sich in ihr ausbreitete und das Gefühl mit sich brachte, dass die Zeit ihr unaufhaltsam zwischen den Fingern zerrann. Fast kam es ihr so vor, als würde irgendwer irgendwo sie auslachen. Und dabei langsam, aber stetig ihren Lebensplan an den Reißwolf verfüttern. Lous ständigen Erinnerungen zum Trotz: Sie war nicht bloß dreiunddreißig Jahre alt; sie war dreiunddreißig Jahre, fünf Monate und eine Woche alt. Himmel, sie war beinahe dreiunddreißigeinhalb. Allmählich wurde es ernst; bis zum Fünfunddreißigsten waren es nur noch fünfhundertneunundsechzig Tage. Wenn sie auch nur einen einzigen Moment verschwendete, würde ihr die Zeit davonlaufen. Beliebte Veranstaltungsorte wären ausgebucht, womöglich müsste sie die Feierlichkeiten auf das Standesamt beschränken. Aus zwei Kindern würde eins werden – oder womöglich gar keins mehr. Alice musste dringend etwas tun, und zwar schnell.
Drei ganze Wochen war es inzwischen her, seit Kate sich bei Table For Two angemeldet hatte, und bisher hatte sie erst zwei Verabredungen gehabt. Ihr dauerte das alles viel zu lange. Ihr Date mit Sebastian war die reinste Katastrophe gewesen, und das mit Michael war auch nicht viel besser gelaufen. Sie hatte zwar damit gerechnet, ein paar Frösche küssen zu müssen, selbst mit Alice als vorgeschaltetem Froschfilter, aber wenn das so weiterging, würde es Monate dauern, bis sie endlich einen neuen Freund hätte. Sie musste unbedingt einen Gang hochschalten. Alice sollte zwei Verabredungen pro Woche für sie arrangieren – oder drei!
»Hallo.« Alice stand unschlüssig vor ihrem Tisch. Sie wirkte blass und müde, Kate hatte sie gar nicht hereinkommen sehen. Rasch stand sie auf und begrüßte sie.
»Alice! Danke, dass Sie hergekommen sind. Möchten Sie einen Tee?«
Kurz darauf hatten beide Frauen eine dampfende Teetasse vor sich auf dem Tisch. Kate kam ohne Umschweife zur Sache.
»Sollen wir gleich loslegen?«, unterbrach sie Alice, während sie einmal kurz Luft holte. »Ich habe nämlich schon einen Vorschlag für Ihre nächste Verabredung: Hier ist er, Kandidat Nummer drei!«
Und damit zog sie ein Blatt Papier aus der Tasche. Begierig überflog Kate die Einzelheiten. Kandidat Nummer drei hieß Harvey. Auf dem Bild bekam er zehn von zehn möglichen Punkten für gutes Aussehen, und ein kurzer Blick auf seinen Steckbrief zeigte, dass er regelmäßig luxuriöse Fernreisen unternahm und einen Maserati fuhr. Alles sehr vielversprechend.
»Ich wollte Sie allerdings noch etwas fragen«, unterbrach Alice’ Stimme Kates Träumerei. »Und zwar bezüglich Ihrer
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